piwik no script img

Archiv-Artikel

Nur abgesahnt

Zeitgenössisches Musiktheater darf alles – nur nicht langweilen. Wie der italienische Komponist Giorgio Battistelli in Bremen das letzte Tabu bricht

Puccinismen wogen aus dem Orchesterapparat und Kühe bevölkern den maroden Palast

Immer wieder stießen die Diskussionsteilnehmer des vom Bremer Theater organisierten Kongresses „Schöne neue Opernwelt“ auf die Frage, was neues Musiktheater überhaupt sei. Feste Kriterien, so der Komponist Detlev Glanert, gebe es nicht.

Alles sei heute möglich – und alles sei gut. Dem widersprach Peter Lund heftig: „Das darf doch nicht wahr sein“, so der Intendant der Neuköllner Oper in Berlin, „dass hier die Kriterien verschwinden.“ Womit er Recht hat. Aber wie ließe sich diese Frage lösen?

Klar wurde auf dem Kongress: Die moderne Oper gibt es ebensowenig wie das Publikum oder das Stadttheater. Binsenweisheiten – aber trotzdem ist es gut, sieauf hohem Niveau zu reflektieren. Um dann das Antworten einem Einzelwerk zu überlassen. Passend hatte Intendant Klaus Pierwoß auf dem Podium erklärt, dass neben der Hinterfragung des Repertoires die Präsentation neuer Werke die wichtigste Aufgabe des Stadttheaters sei. Immerhin hat er in zehn Jahren acht Urauführungen in die Wege geleitet.

Die achte war die lang erwartete Premiere von Giorgio Battistellis Der Herbst des Patriarchen. Doch was der italienische Komponist aus Gabriel García Márquez‘ literarischem Koloss gemacht hat, ist gerade keine Auseinandersetzung mit der Gattung. Vielmehr sahnt er mit gefälligen Puccinismen und dergleichen nur die Ästhetik der Operngeschichte ab. Italienische Cantabilitá innerhalb handwerklich perfekt komponierter Auf- und Abschwünge, ausgeführt durchs streicherlastige, mit einem Schlagzeugapparat konfrontierte Orchester. Das ist nicht nur keine überzeugende Umsetzung des Romans. Das ist vor allem: langweilig. Denn in knapp zwei Stunden ohne Pause wiederholt sich der Charakter der Musik ständig.

Der Librettist Gottfried Kuppel beschreibt im Programmheft seine Nöte und seine Entscheidung, ganz nah am Text zu bleiben, ihn praktisch nur einzukürzen. So haben er, Bühnenbildner Carl Friedrich Oberle, Kostümbildnerin Nicola Reichert und die einfallsreiche Regisseurin Rosamund Gilmore die skurrilen Bilder des brutalen Despoten, der meist tötet und vögelt, in weitgehend ähnlicher Statuarik auf die Bühne gestellt.

Kühe bevölkern den maroden Palast, in dem der Tyrann, der nicht sterben kann, ständig die Räumlichkeiten wechseln lässt. Zu wenig, um für zwei Stunden Kribbeln oder gar Spannung zu erzeugen – nach wie vor die vornehmste Aufgabe des Musiktheaters gleich welchen Stils.

Stefan Klingele hatte die flächigen Klänge souverän in der Hand, der Chor sang wunderbar, und über die engagierten Leistungen der Sänger kann man nicht meckern: Als fast bedauernswerter Patriarch überzeugte Karsten Küsters, glänzend sangen Birgit Eger, Eva Gilmore und Marko Lazzara ihre Partien.

Interessanteres war dennoch bei der Komponistenwerkstatt des Kongresses zu erleben, die mit der Präsentation acht kleiner Werkchen zwar etwas überfrachtet war. Dafür aber bot sie Gelegenheit, einmal ganz andere Dinge vorzustellen als die schon traditionelle Bremer Kulinarik mit Komponisten wie Detlev Glanert, Stanley Walden oder eben Battistelli. Ganz andere Wege geht zum Beispiel Heiner Goebbels, der den Musiker zur theatralischen Person macht. Oder Younghi Pagh-Paan, die sich Urformen des vokalen Ausdrucks annähert, ebenso wie Adriana Hölszky, die ihre grenzenlose Klangfantasie die eigenen intellektuell komplexen Konzeptionen wunderbar überholen lässt.

Ute Schalz-Laurenze

Giorgio Battistelli: Der Herbst des Patriarchen. Musicaltheater am Richtweg. Weitere Aufführungen: 11., 15., 17., 23., 27., 30. Juni sowie am 3. Juli, jeweils um 19.30 Uhr