Nuptiales Auto-Cruising, Westbams amüsante Biografie und Osterbrunch: Ravesignale in St. Marien-Liebfrauen
Ausgehen und Rumstehen
vonKirsten Riesselmann
Ostern ist das neue Weihnachten. Die allermeisten fahren weg – Müritz, Sächsische Schweiz, Tschechien, Verwandtschaft –, die Stadt ist so leer, dass man am helllichten Tag nackt am Landwehrkanal tanzen könnte und allein wäre mit dem fröhlich frischen Grün, den Graupelschauern und einigen testosterongesättigt posierenden Schwänen. Die Einzigen, die sonst noch in der Stadt geblieben sind, waren die Türken. Sie nutzten das Osterwochenende zum Feiern. Meistens Hochzeiten. Einmal auch den Ausgang eines gewissen Referendums, leider. Andauernd hupte es um einen rum, ein bewimpelter Autokorso folgte dem nächsten. Ob es spezielle Hochzeitskorso-Showoff-Autoverleiher gibt, die den ledigen Cousins aus Nürnberg hochglanzpolierte Schlitten zum nuptialen Kreuzberg-Cruisen bieten? Der neue Blumenhändler auf der Wiener Straße zumindest freute sich übers Ostergeschäft, das er nicht mit traurigen Stecken Weidenkätzchen zu machen gedachte, sondern mit feisten Buketts für die Kühlerhauben der Brautautos.
Ich war leider nicht zu einer türkischen Hochzeit eingeladen. Sondern so allein, dass Ausgehen am Karfreitagabend nicht stattfand: Der Bürokollege wollte im Kaffee Burger im Rahmen einer ominösen Session Dancehits aus den Neunzigern live nachspielen; er hatte „Rhythm Is A Dancer“ geprobt, und ich hätte gern derart muckerretrotrashig umspült ein Bier getrunken, allerdings nicht alleine, denn ich bin keine, die gern alleine Bier trinkt, was vermutlich gendermäßig begründet ist und überwunden gehört. Dafür las ich in Westbams durchaus amüsanter DJ-Biographie „Die Macht der Nacht“. Und erfuhr eine Menge über die Geburt des Raves aus dem Geiste des Punk, über die Anfänge des Mixens im Metropol am Nollendorfplatz, über Marusha als Mitbewohnerin, über Mark Spoons Politik der Überdosierung und darüber, wie sich Wolle XDP und Sven Väth gediegen dissen lassen.
Besonders gefiel mir, wie Westbam die Zeitenwende von 9/11 beschreibt: „Die Euphorie, die nach dem Mauerfall den Neunzigern den Sound verliehen hatte, war weg. Die Leute wollten keine großen Ansagen mehr, keine großen Rave-Signals, sie wollten jetzt unter sich bleiben. Manchmal kam ich mir unpassend vor.“ Wie ehrlich und schön. Danach allerdings, letztes Fünftel, kommen Auskotzen, Zynismus und Abgegessenheit. Unschön. Die große Ansage wollte ich dann am Samstagabend. Osternacht mit der fünfjährigen Tochter in St. Marien-Liebfrauen auf der Wrangelstraße. Plötzlich war sie da, die Lust auf Mysterium, dunkle Kirche, Lumen Christi, Exsultet, Bienenlob, Kerzenpreisung, die brachiale Wasserwand des roten Meers links und rechts und das vom Priester singend verlautbarte Rave-Signal „Dies ist die Nacht, in der die leuchtende Säule das Dunkel der Sünde vertrieben hat“! Nach anderthalb Stunden allerdings machten wir schlapp, die Party war da noch lange nicht vorbei. Auf der Straße schenkte uns ein Bayer mit Penny-Tüten in der Hand ein: „Wos, is scho aus? Bei uns ging des früher d’holbe Nocht!“ Das Kind fand’s aber gut. Es hat die Messdienerinnen für Engel gehalten.
Der Sonntag hieß Wilmersdorf. Brunch bei kreuzbergflüchtigen Boheme-Freunden, die auf ihren vielen neuen Quadratmetern uns und anderen in der Stadt Hängengebliebenen Osterasyl boten. Wir brunchten mit Hefezopf, Spargelsalat und Sauerteig-Bärlauch-Brot. Wir sprachen über Alfred Hilsberg und seine Spleens, das Tolle und Blöde an der Bar25, die Sonderlichkeit der Grether-Schwestern und das Obsolete am White Trash. Also hauptsächlich über Dinge, die vorvorgestern Thema waren. Hat Spaß gemacht. Nach viel Kaffee und Crémant im Wechsel schafften wir den Sprung zu Trumps Bomben, Deniz Yücels Perspektiven und zum Neuköllner It-Lokal „Industry Standard“. Und versteckten ganz zum Schluss den Kindern Eier im Park. Beziehungsweise streuten sie flächendeckend auf die Wiese. War ja sonst niemand da.
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