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Norwegischer Politiker über Attentate"Ein Angriff auf unsere Demokratie"

Die Anschläge sind besonders quälend für die Menschen, weil sie aus dem Inneren der Gesellschaft kamen. Gespräch mit dem norwegischen Ex-Parlamentsvizepräsident Inge Lønning.

"Unter den politischen Parteien herrscht Konsens darüber, zum Rechtsradikalismus auf Distanz zu gehen", sagt Inge Lønning. Bild: dpa
Interview von Barbara Oertel

taz: Herr Lønning, was war Ihre erste Reaktion auf die Anschläge am vergangenen Freitag?

Inge Lønning: Ich war im Schockzustand. Zuerst dachte ich, dass es sich um einen gezielten Versuch handelt, Mitglieder der Regierung ums Leben zu bringen. Das heißt, ein politisches Attentat. Als dann die Nachrichten von dem Sommerlager auf der Insel kamen, wurde sofort klar, dass beide Ereignisse in Zusammenhang stehen.

Hätten Sie sich vor einer Woche vorstellen können, dass so etwas in Norwegen passiert?

Nein, das war völlig undenkbar. Zuerst dachten natürlich alle in Norwegen, dass das das Werk internationaler Terroristen sein könnte - aber nicht so etwas, wie wir es jetzt erfahren haben. Vergessen Sie nicht, dass sich die Norweger in Afghanistan und Libyen militärisch engagieren. Die ersten Theorien, die unmittelbar aufkamen, konstruierten ja auch so einen Zusammenhang.

Wie wirken sich die Anschläge auf die norwegische Gesellschaft aus?

Wir sind immer noch alle wie gelähmt, weil alles so unwirklich ist. Immer noch gibt es Vermisste und Schwerverletzte. Insgesamt könnten die Anschläge am Ende sogar über 100 Menschen das Leben gekostet haben. Die Erfahrung dieser Art von blinder Gewalt, das ist für die Menschen in Norwegen vollkommen neu. Doch was das Ganze besonders quälend macht, ist die Tatsache, dass diese Anschläge aus dem Inneren unserer Gesellschaft heraus erfolgt sind. Gegen Feinde von außen kann man sich wehren, aber gegen Feinde von innen ist das unmöglich.

INGE LONNING

73, ist Professor für Theologie und saß von 1997 bis 2009 für die konservative Partei Høyre im norwegischen Parlament. Eine Legislaturperiode lang amtierte Inge Lønning als Vizepräsident der Volksversammlung.

Inwieweit sind Ansichten wie die des norwegischen Attentäters in der norwegischen Gesellschaft verbreitet?

Das ist ein Randphänomen. Es gibt nicht viele junge Menschen, die so denken. Früher haben wir einige Rechtsextremisten beobachten können, aber in nicht so einer dramatischen Form.

Noch einmal anders gefragt: Wie empfänglich ist die norwegische Gesellschaft für derart xenophobes Gedankengut?

Ich glaube, unsere Gesellschaft ist dafür immer noch weniger empfänglich als die meisten anderen europäischen Länder.

Trotzdem wird mit derart kruden Theorien Politik gemacht. Grenzen sich die etablierten Parteien ausreichend davon ab?

Unter den politischen Parteien herrscht Konsens darüber, zum Rechtsradikalismus auf Distanz zu gehen.

Und zur Fortschrittspartei? Immerhin diktiert ihr dänisches Pendant, die Dänische Volkspartei, der Regierung in Kopenhagen die Preise, wie man an der Wiedereinführung der Grenzkontrollen sehen kann.

Der Fortschrittspartei wird ja immer wieder vorgeworfen, Fremdenfeindlichkeit zu propagieren. Diese Kritik ist berechtigt. Aber der Vorwurf, mit Neonazismus und dieser Art fundamentalistischem Extremismus punkten zu wollen, trifft nicht zu. Da ist die Fortschrittspartei moderater. Anders hätte es ausgesehen, wenn es ein islamistisches Attentat gewesen wäre. Wir stehen am Anfang des Wahlkampfes und das hätte dann der Fortschrittspartei unweigerlich in die Hände gespielt.

Wurde in Norwegen die Gefahr derartiger Abschläge also unterschätzt?

Diese Frage muss ich eindeutig mit Ja beantworten. Man hätte mehr Aufmerksamkeit auf dieses Phänomen lenken sollen. Deshalb sind die jüngsten schrecklichen Ereignisse für uns auch so eine Art Lehrstunde. Die Verantwortlichen haben sich viel zu sehr mit dem internationalen Terrorismus befasst, die Gefahren, die jedoch von innen drohen, wurden nicht ernst genug genommen.

Das heißt, auch die sozialdemokratische Regierung hat Fehler gemacht?

Bestimmt, aber dieser Angriff, das muss man sehen, war auch eindeutig gegen die etablierte Sozialdemokratie gerichtet. Aber nicht nur das. Alle etablierten Parteien empfinden das so, dass das ein Angriff auf die norwegische Demokratie als solche war.

Wie sollten die Politik auf diesen Angriff auf die Demokratie antworten?

Solche Angriffe stellen ja gerade die Demokratie auf die Probe. Ob die Qualitäten, auf die so ein System sich stützt, weiter zum Tragen kommen. Eben eine offene Gesellschaft, die Gleichberechtigung aller Bürger und moralische Verpflichtung aller Bürger, sich zu engagieren. Das ist die wirklich große Herausforderung.

Und wie sollte man mit dieser Herausforderung umgehen?

Die große Mehrheit der Getöteten sind ja ganz junge Leute. Sie repräsentieren die Zukunft der Gesellschaft. Daher muss die Antwort sein: Wir lassen uns nicht erschrecken. Wir werden auch in Zukunft jungen Leuten politische Aufgaben übertragen und sie dazu ermutigen, Verantwortung für die Gesellschaft zu übernehmen. Jetzt ist es besonders wichtig, dass die politischen Parteien ihre Jugendorganisationen mobilisieren. Der Leiter der sozialdemokratischen Jugendorganisation hat nach den Anschlägen gesagt: Jetzt sind alle Norweger Mitglieder dieser Organisation.

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5 Kommentare

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  • B
    Berlin2011

    Nicht der Anschlag, aber seine kruden Motive stammen aus der Mitte der Gesellschaft. In Berlin und in den Niederlanden werden sie verbreitet von der "Freiheitspartei".

  • A
    arnsburg

    Der Interviewte Herr INGE LONNING beauptet der Anschlag komme aus der Mitte der Gesellschaft.

     

    Aber der Attentäter: Anders Behring Breivik war seid 2002 in Vorbereitung »einen präventiven Krieg zu führen gegen die marxistisch/multikulturellen Regime in Europa«, so stehts in seinem Pamplet.

     

    Ich sage die Politik und der Attentäter befinden sich in diesem Ausgrenzenden Denkmuster befangen, nicht aber die Gesellschaft.

     

    Innenminister Friedrich aus der BRD sagte nach dem Anschlag sinngemäß: "Solch ein Anschlag könne auch von Linken stattfinden, die Gefahr gehe von Links und Rechts aus".

    Als direkte Reaktion zu den Anschlägen so etwas zu formulieren ist nicht nur pieetätslos sonder ist nun wirklich Rechtradikal.

  • S
    Schorse

    "Die Anschläge sind besonders quälend für die Menschen, weil sie aus dem Inneren der Gesellschaft kamen.", heißt es am Anfang des Artikels.

     

    Aus dem Inneren welcher Gesellschaft? Unserer Gesellschaft? Oder der Gesellschaft einer kruden verwirrenden Internet-Computer-Community vollgestopft mit Hassforen, die sie quasi als Kollateralschaden der neuen "Netz-Freiheit" in Kauf nimmt. Einer "PC-Gesellschaft", die sich bisweilen auch noch darüber lustig macht, wenn etablierte Parteien im ganz gewöhnlichen Straßenwahlkampf das Gespräch mit den Bürgern suchen.

     

    Sicher es wird an vielen Wahlkampfständen eine menge krudes Zeug geredet, und es gibt Parteien, die auch im Straßenwahlkampf nicht davor zurückscheuen, Hass und Gewalt zu predigen. Aber das findet dann nicht ausschlließlich "netzöffentlich" statt, und es ist etwas anderes, wenn ich mit Menschen von Angesicht zu Angesicht spreche, als wenn das im Internet z. B. über Diskussionsforen geschieht.

     

    Ich befürchte, die Möglichkeiten, die das Internet bietet, werden bisweilen maßlos überschätzt und die mit dem Internet verbundenen Gefahren allzusehr verharmlost! Und es wird noch zu wenig getan, um Menschen zu ermöglichen, sinnvoll dieses Medium zu benutzen. Es muss eine positive Struktur im Netz geschaffen werden, die mehrheitlich in der Bevölkerung als akzeptabel anerkannt wird und gleichzeitig der Besuch von Hass- und Gewaltforen sehr viel stärker und deutlicher als gesellschaftlich inakzeptables Verhalten gebrandmarkt werden!

  • HJ
    Hein Jo

    [mein Kommentar vorhin scheint abgestürzt zu sein. Hier noch ein Versuch]

     

    Die Interviewpartnerin aus Norwegen sagt, solche Leute wie dieser Typ sind "ein Randphänomen" in Norwegen. Dagegen steht im Teaser der taz: "... aus dem innern der Gesellschaft". In gewisser Hinsicht ist vielleicht -b-e-i-d-e-s- richtig. Denn Randgruppen sind manchmal nur Spitzen von Eisbergen.

     

    Sie wünscht sich, dass "die politischen Parteien ihre Jugendorganisationen mobilisieren". Ob sie damit auch die politisch rechte "Fortschrittspartei" meint? Deren Mitglied war der Täter jahrelang und war dort auch bei Jugendgruppen als Leiter u.s.w. Daher wünsche ich mir für Norwegen, aber auch andere Länder v.a. dass sie das Problem faschistoider Überzeugungen, mit ihren nationalistischen und rassistischen, sozialdarwinistischen und ähnlichen Meinungen bzw Vorurteilen, (wieder) ernster nehmen.

  • OP
    Otto Pardey

    Der Angriff auf die Demokratie durch Rechts-und

    Linksfaschisten in Europa.

    Darüber hinaus die Geiselnahme der Demokratie durch

    skrupellose,korrupte Politiker und Wirtschaftsboße

    in der Europäischen Union.

    Der Wirtschaft in Deutschland geht es blendend nur

    den sogenannten Lohnsklaven nicht.

    Auch den korrupten Politiker in Griechenland geht

    es bestens nur den Bürgern nicht.

    Dem schwanzgesteuerten Hurenbock Silvio Berlusconi

    geht es sehr gut nur den Italienern nicht.

    Wer soviel Geld hat kann sich auch die politisch,korrupte Justiz in den jeweiligen Ländern kaufen.

    Das Verständnis von Demokratie in Europa geht einher

    mit dem Vermögen was diese Polit-Kriminellen sich

    auf Kosten der Bürger einverleiben.

    Das Ergebnis dieser unhaltbaren Zustände zeigt sich u.a. in Norwegen,das diese korrupten Politiker in ihrer Skrupellostigkeit-und Menschenverachtung u.a.

    für derartige Taten eine maßgebliche Mitschuld tragen.