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Archiv-Artikel

Normalzeit HELMUT HÖGE über blöde Anmachen

Den Wunschfluss zum Geldfluss machen

Das Schema ist immer das gleiche: eine Art Amway- oder Tupperware-Party unter vier Augen. Da ruft ein ehemaliger Arbeitskollege an und sagt: „Ich mach grad eine Umschulung und dabei ein Praktikum bei einer Vermögensverwaltung. Am Ku’damm“, fügt er hinzu. „Und dabei würde ich gerne eine Vermögensberatung bei dir durchführen – kostenlos“. Die Beratung ergibt dann: „Du zahlst zu viel Steuern.“ Ja, was soll man da machen? „Du solltest dir eine steuerbegünstigte Immobilie zulegen.“

Bei Beratungsschluss hat der Betreffende dann eine Eigentumswohnung nicht weit von Rostock am Hals, in die er sein ganzes Geld gesteckt hat. Dazu muss er fortan noch einen Kredit bei der Bayern-Hypo in 800-Euro-Raten monatlich zurückzahlen. Die Wohnung steht leer, und die Tochterfirma der Baugesellschaft, die für eine Mietausfallgarantie gradesteht, geht nach einem Jahr – zusammen mit der Hausverwaltung – Pleite.

Bei anderer Gelegenheit wirbt – wieder ein Umschüler – den Leiter seiner Maßnahme für eine US-Telefongesellschaft an, die kostenlose Gespräche mit einem Freund anbietet. Dazu müssen beide einen Vertrag unterschreiben. Der Kursusleiter hat eine Freundin in Hannover, mit der er täglich telefoniert, das US-Angebot ist also verlockend – zumal die anderen Telefongebühren der Firma sich „im normalen Rahmen“ bewegen. Das Vertragswerk läuft aber auf ein Pyramidenspiel hinaus: Mit einer 800-Euro-Einlage kann man – nach Anwerben weiterer Kunden – an deren Telefongebühren verdienen. Der Dozent bemerkt zu spät das Kleingedruckte: Als Mitspieler und -gewinner ist er nicht mehr Kunde, sondern „Geschäftspartner“ – und muss für die „Call a Friend for Free“-Anrufe normale Tarife zahlen.

Man nennt diese Geschäftemacherei neuerdings „Network Marketing“. Es ist ein gleichsam „induktives Verfahren“ zur Durchdringung der informellen Ökonomie kleiner und kleinster sozialer Gruppen, um sie mittels Kapitalisierung von innen aufzusprengen. Den Anfang machten all die jungen NVA-Offiziere, die zuvor die Staatssicherheit garantiert hatten und nun als private Versicherungsvertreter Verwandte und Freunde abklapperten, um ihnen eine Police nach der anderen aufzuschwatzen. Spätestens als jeder zweite DDRler hoffnungslos überversichert war, war ihre Allianz-Karriere beendet. Der kurze Erfolg basiert auf der „Schwierigkeit, nein zu sagen“, die dadurch gesteigert wird, dass die Argumente von jemandem kommen, dessen Urteil man vertraut. Wobei man ihm zudem beim Aufbau einer neuen Existenz unterstützt. Es könnte ja auch mal andersrum kommen.

Das Network-Marketing nun ist geeignet, all diese losen Fäden der Kommunikation zusammenzuknüpfen – und dabei Intensitäten in Intention zu verwandeln. So haben etwa die Vermögensberater, die den Versicherungsvertretern auf den Fuß folgten, so viele Wohnungen verkauft, dass es nun 340.000 Bundesbürger gibt, die zu wenig verdienen, um bei anhaltendem Leerstand ihrer Wohnung weiter den Kredit dafür abzahlen zu können.

Einem Journalisten, der in der DDR im Knast gesessen hatte, schwatzte man gar einen ganzen leer stehenden Supermarkt im Bayerischen auf – indem man eine ehemalige Leidensgenossin aus Bautzen auf ihn ansetzte, die ihn von der Seriosität der Immobilienverkäufer überzeugte. Erst hinterher kam heraus, dass die Baufirma ein Abkommen mit den umliegenden Supermärkten geschlossen hatte dahingehend, dass die Immobilie zehn Jahre lang nicht von einem Supermarkt genutzt werden durfte. Um die „Schwierigkeit, nein zu sagen!“ unüberwindbar zu machen, hatte man hier sogar zu „intimen Verfahren“ gegriffen. Übrigens endete auch so manche Tupperware-Party schon in einem Swingerclub.

Ich habe das Problem bereits, wenn sich nur ein Bekannter mit mir zum „Wir müssen uns mal wieder sehen“-Gespräch trifft und sich dabei plötzlich als Webpage- oder Handy-Vertreter entpuppt. Auch bei Zeitungsverkäufern, die ich gut kenne, kann ich nicht nein sagen. Diese sozusagen unterste Stufe des Network-Marketings wird in letzter Zeit von Versicherungsvertretern und allerlei Versuchsproduktanbietern „getestet“ – seitdem wissenschaftlich erwiesen ist, dass die „unternehmungslustigsten“ und „risikofreudigsten“ Arbeitslosen eher in Kneipen anzutreffen und zu motivieren sind als zu Hause vor dem Fernseher. In einigen Bordellen der Stadt kann man sich sogar schon zu Goldschmuck- und Junk-Bond-Käufen animieren lassen.