■ Normalzeit: Der zartfühlende Frank
Daß Wohnungsmakler allein schon durch ihren Beruf üble Menschen sind, daß der kapitalistische Wohnungsmarkt einer kriminellen Vereinigung gleicht, unter der im Gegensatz zu den Aktivitäten der RAF große Teile der Bevölkerung zu leiden haben, daß in Berlin viele Wohnungen gerade im Osten inzwischen offen illegal über diverse Mittelsmänner, die der verzweifelte Wohnungssucher meist nur als „Rolf“ oder „Joe“ oder „Rick“ kennt, verschachert werden – „Rolf“ oder „Rick“ oder „Joe“ kriegen für einen schon einseitig unterschriebenen Mietvertrag, den sie sich aus welchen Quellen auch immer ergaunert haben, dann 10.000 DM –, diese Wohnungssuchgeschichten sind relativ bekannt. Daß es unter Hausbesitzern allerdings auch nette, gar zartfühlende Menschen gibt, war mir neu. Frank T., ein Köpenicker Künstler um die Fünfzig, ist einer von ihnen. Zwei Jahre vor der Wende hatte er von einem Großvater, den er nie gekannt hatte, ein Haus im Westteil geerbt. Ihm war das eher peinlich, zumal er sich linken Idealen doch zugeneigt fühlte. So verfuhr er mit dem Haus ähnlich wie umweltfreundliche Autofeinde mit ihrem Auto – er ignorierte den Besitz mehr oder weniger und ließ sich, ein bißchen beschämt und ohne irgend etwas nachzurechnen, ab und an und vermutlich stets zuwenig Geld von der Westberliner Hausverwaltung überweisen.
Frank druckst herum
Das Geld, das ihm hilft, die radikale Nachwendeverschlechterung der künstlerischen Auftragslage ganz gut zu überstehen, betrachtete er als eine Art Stipendium. Über seinen Hausbesitzerstatus sprach er so gut wie nie. Auch ich wußte bis vor kurzem nichts von seinem Besitz. Eher zufällig, so wie man allen von der eigenen Wohnungssuche erzählt, hatte ich ihn gefragt, ob er nicht etwas wisse. Lange druckste er herum, bis er mir gestand, daß er erstens Hausbesitzer sei und zweitens auch was frei wäre. Wir machten einen Besichtigungstermin aus.
Vor der Wohnungstür merkte er, daß er den Schlüssel verloren hatte. „Was soll man da nur machen?!“ Zur Erörterung dieser komplizierten Frage gingen wir in ein Café und entschlossen uns, einen Schlüsseldienst anzurufen.
Um sich bei den arbeitenden Menschen des Schlüsseldienstes nicht als Klassenfeind = Hausbesitzer zu erkennen zu geben, bat er mich, dort anzurufen: „Mach du das mal!“ Ich könne ja einfach sagen, ich wohne da und hätte meinen Schlüssel verbummelt und ob sie mir die Wohnung nicht aufmachen und ein neues Schloß einsetzen könnten. Auf Einwände meinerseits ließ er sich dann doch überreden, selber zu telefonieren und verbrachte dabei viel Zeit, denn er verfolgte komplizierte Strategien: Zunächst erklärte er den Schlüsseldienstlern, er würde in der zuen Wohnung wohnen und hätte seinen Schlüssel verbummelt. Nach seiner Mieterlegitimation befragt, merkte er dann doch, daß es zwecklos war, weiter zu lügen und korrigierte sich schamrot: „Sie haben das falsch verstanden: Das ist nicht meine Wohnung – mir gehört das ganze Haus. Ich bin der Hausbesitzer sozusagen.“ Mißtrauisch verband man ihn da- und dorthin. Mehrmals mußte er seinen Satz wiederholen, wobei seine Stimme, die anfangs ziemlich leise gewesen war, immer lauter wurde.
Frank will versinken
Die Gäste im Café schauten komisch. Er wollte im Boden versinken und wurde wieder leiser. Irgendwie kriegte er die Schlüsseldienstfrage dann doch geregelt und setzte sich erleichtert, so als hätte er etwas ausgefressen und sei wider aller Erwartungen doch glimpflich davongekommen, an den Tisch und trank schnell einen Weinbrand. Detlef Kuhlbrodt
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