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■ NormalzeitAus der Parteimitglieder-Werbung

Lange schlafen, heiß baden und die Betrachtung der Leiden Christi – das empfiehlt der heilige Thomas zur Bekämpfung der Schwermut. Beim Neuköllner BMW-Fahrer Dirk schlug diese Kur jedoch nicht an, zudem rückte die mögliche Einberufung zum Militärdienst dadurch nur immer näher. In seiner Not rief er schließlich den Neuköllner Statthalter der Bürger- und Stadtpartei, Siegfried Baatz, an. Ihn fragte er: Wie steht Ihre Partei zur Bundeswehr? Baatz bot ihm an, seine Freistellung durchzuboxen über ein öffentliches Amt, wo er dann gebraucht werde („als ehrenamtlicher Öffentlichkeitsarbeiter beispielsweise“). Dazu müsse der Dirk jedoch zuvor in die Partei eintreten.

Ein Termin bei Baatz zu Hause wurde verabredet, an dem auch die Schriftführerin der Partei teilnehmen sollte. Dirk seinerseits brachte seine Freundin, Toyota- Fahrerin Kati, mit. Die war erst einmal vom Baatzschen Anwesen schwer beeindruckt: „Ein sehr schönes Haus, schwer reich, mit Alarmanlage und einem großen Mercedes davor.“

Man plauderte über das Parteileben im allgemeinen sowie über das der Stadtpartei im besonderen. Baatz fragte Kati schließlich, was sie denn von einem Parteieintritt halte. Kati war aber schon in der PDS organisiert, und dort sogar jüngstes Parteimitglied. Baatz geriet darüber schier außer sich: Diese SED-Schweine, die die eigene Bevölkerung folterten, die gehörten alle an die Wand gestellt, usw.

Es stellte sich dann heraus, daß er selber mal in einem Stasi-Knast gesessen hatte und vor 15 Jahren freigekauft worden war. Zum Beweis legte er Kati seine Stasi- Akte auf den Tisch, davon hätte er noch zehn weitere im Keller. Ja, er stehe sehr weit rechts, gab er zu, und ehemalige SED-Mitglieder dürften nie in die Stadtpartei eintreten. Kati war aus Altersgründen nicht in der SED gewesen, wohl aber ihre Mutter, die heute ebenfalls PDS-Mitglied ist. Als er das hörte, drehte Baatz völlig durch und beschimpfte auch noch Katis Mutter: Sie wäre charakterlos und hätte sich bestimmt auch die hundert DM Begrüßungsgeld seinerzeit abgeholt.

Kati wollte sich das nicht länger mit anhören und ging, Dirk folgte ihr wenig später. Als ich diese Geschichte über Baatz erfuhr, dachte ich sogleich, daß er der Sohn eines gleichnamigen Landesschulrats wäre, ebenfalls eine rechte Kanaille, die mal als Fluchthelfer in der DDR aufgeflogen war und darüber auch ein Buch geschrieben hatte: „1.183 Tage in Stasihaft“. Das Buch besorgte ich mir sogleich: der Autor heißt aber Barth. Schade! Dafür half mir der Bibliothekar an der Bücherrückgabe weiter: Sein Sohn sei Mitlied der Berliner Schülerpartei „die anderen“, verriet er mir, und die wäre vor allem deswegen gegründet worden, um ihre Aktivisten als Parlamentskandidaten vom Wehrdienst zu befreien. „Das wäre doch genau das Richtige für Ihren Dirk!“ Der hatte indes schon angefangen, sich in die schwierige Materie einer Wehrdienstverweigerung aus Gewissensgründen einzuarbeiten. Das fand ich nun wieder Scheiße: „Dann wirst du es ja nie lernen, wie man Brücken, Autos oder ähnliches in die Luft sprengt!“

Und Kati? Die hatte, als Konsumolzin, wie üblich ihren Frust erst mal mit einem Einkaufsbummel bekämpft – und dabei einen Aufkleber „Sponsored by Opa“ erstanden, den sie an ihr Auto geklebt und auch sogleich dem Opa vorgeführt hatte. Der war darüber mehr als gerührt, denn er hatte seiner Azubi-Enkelin tatsächlich den Toyota finanziert. Helmut Höge

Wird fortgesetzt

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