■ Normalzeit: Hat Schiesser ausgeschossen?
Der Berliner Großbäcker Horst Schiesser hat für sein Firmenkonglomerat „Geschi-Brot“, in dem rund 1.000 Leute beschäftigt sind, einen Vergleichsantrag gestellt. Vor zwei Jahren bereits hatte sich dies angedeutet. Fünf DDR-Backkombinate hatte Schiesser nach und nach von der Treuhand gekauft. Zu seinem Firmenimperium gehörten ferner noch einige Ladenketten, Betriebe in Polen und Ungarn sowie Teile der Wiener „Ersten Donau- Dampfschiffahrtsgesellschaft“. Er legte richtig los damals.
Bekannt geworden war Schiesser indes schon in den siebziger Jahren, als er, der im Ostberliner Handelszentrum ein Büro besaß, wahrscheinlich im Auftrag von Harry Tisch die gewerkschaftseigene West-Wohnungsbaugesellschaft „Neue Heimat“ für eine Mark kaufen wollte. Nach der Wende bewarb er sich mit seiner Luxemburger Firma „Vorteil“ und seiner Wittenauer „Neuen Gesellschaft mbH Vermögensbildung“ um den Kauf der gesamten (!) DDR-Industrie – für 713,1 Milliarden Mark. Das war allzu abenteuerlich, Schalck-Golodkowski bezeichnete ihn dennoch als den Geschäftsmann, den er von allen am meisten bewundere. Vielleicht weil Schiesser nach der Wende Schalcks Sohn Thomas zum Akquirieren von FDBG-Ferienheimen angestellt hatte. Dieser sammelte jedoch primär Spesenrechnungen an.
Von der Treuhand bekam Horst Schiesser – zusammen mit Günter Schiesser – zunächst das Backwarenkombinat Prenzlauer Berg („Cityback“) zugeschanzt – für rund 20 Millionen Mark. Als erstes entließen die neuen Besitzer dort den allzu kritischen Betriebsrat Klaus Noack, dann setzten sie ihre Söhne Frank und Bernhard als Geschäftsführer ein. Die Söhne hatten aber gegenüber ihren dumpf-kommißköpfigen Vätern, die sich selbst als „oberste Heeresleitung“ bezeichneten, nichts zu sagen.
Dazu zählt auch ihr Finanzchef Herr Haberer, ein kleiner drahtiger Endfünfziger mit Goldkettchen, Typ „Möchtegern-Stalingradkämpfer“. Als ich ihn besuchte, belehrte er gerade telefonisch einen Wiener Geschäftspartner: „Die Deutschen hatten die beste Armee der Welt – aber zu viele Fronten. Diesen Fehler wollen wir nicht noch einmal machen.“ Ansonsten gab er abwechselnd der Treuhand, Bonn und dem Bezirksamt die Schuld daran, daß es mit dem „gesamtorganisatorischen Konzept für die Cityback“ nicht voranging.
Die „Heeresleitung“ entließ als erstes das Kantinenpersonal sowie die Reinigungsbrigade und verkaufte die gutgehenden Verkaufsstellen. Bei einem Cityback- Frontbesuch war Horst Schiesser dann sinnigerweise besonders über die Unsauberkeit in der Fabrik entsetzt, anderntags bekamen die leitenden Angestellten eine gepfefferte „Org.-Anweisung“ auf den Tisch: „Diejenigen, die bewußt die Arbeitsqualität sabotieren, sind zu entlassen. Das überschüssige Personal ist in die vorhandene Beschäftigungsgesellschaft zu überführen.“
Zuvor hatte Schiesser den Betriebsratsvorsitzenden Karl- Heinz Sasse zum Assistenten der Geschäftsführung befördert, als solcher sollte er nun die Belegschaft von 240 bis auf 120 „runterfahren“. Als er sich weigerte, wurde er kurzerhand entlassen – und die halbe Belegschaft wurde auf Null-Stunden-Kurzarbeit gesetzt. Der neue Betriebsratsvorsitzende Jürgen Jahnke bekam von seiner Gewerkschaft dagegen nur wenig Unterstützung.
Schiesser ist ein einflußreicher Mann. Das bekam dann sogar die Juristin Frau Ritter bei der Treuhand-Abteilung „Vertrags-Controlling“ zu spüren: Bei ihr war der Kaufvertrag mit Schiesser zur Prüfung gelandet, es „fehlten noch einige Feinheiten darin“. Aber sie kam damit nicht weiter, und Haberer ließ sich ihr gegenüber stets verleugnen. Schließlich beschloß sie, Schiesser zu verklagen: „Es geht demnächst hoch her mit Geschi-Brot – vor Gericht“, verriet sie uns. Fünf Wochen später jedoch, am 5. Juni 1992, verlor Frau Ritter plötzlich „wegen der Schiesser-Geschichte“ ihren Arbeitsplatz in der Treuhand. Sie wurde fristlos entlassen. Schiesser wurschtelte konzeptionslos weiter bei Cityback und war im übrigen vollauf damit beschäftigt, weitere Treuhand-Schnäppchen zu tätigen. Nun, angesichts des drohenden Zerfalls des Geschi- Brot-Konsortiums, spricht auch die Gewerkschaft von „Management-Fehlern“. Helmut Höge
Wird fortgesetzt
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