■ Normalzeit: Hanf Dampf in allen Gassen
In der Neuköllner Allerstraße gab Berlins erster türkischer Hanfbäcker soeben ein Premieren-Essen. Yussuf Tas, der dort einen Grill betreibt, ist genaugenommen ein alevitischer Kurde, wie sein Vater Mustapha erklärte, der seit 26 Jahren in Berlin lebt: „Eigentlich wollte ich nach drei Jahren wieder zurück nach Maras“ (einer Kleinstadt im Südwesten der Türkei). Sein Sohn tat sich vor kurzem mit dem Hanfhaus zusammen und bäckert nun deren neue „Food- Strecke“, d.h. er backt mit ungarischem Hanfsamen Brötchen, Baguette, Falafel, Börek und Pide. Nicht nur für den Bedarf des „Tas Grills“, er beliefert u.a. auch noch seinen Freund Nico Erzincan, der in der Friedrichshainer Mainzer Straße den „Mesopotamien Imbiß“ besitzt.
Nicos Eltern stammen aus Ilhan in Ostanatolien und sind ebenfalls alevitische Kurden. Ihr Sohn ist noch an der Café-Bar Gowende in der Oranienstraße beteiligt. Zum Besitzer des Cafés Kirvem in der Manteuffelstraße bestehen verwandtschaftliche Beziehungen. In beiden Lokalen gibt es jetzt ebenfalls Hanfgebäck. Gemeinsam ist diesen von der zweiten Generation türkischer Migranten betriebenen Gaststätten, daß dort Türken und Deutsche verkehren und es keine reinen Männertreffpunkte mehr sind.
Von der Hanf-Kampagne erfuhr Yussuf über die Medien. Als er mit Nico darüber sprach, erinnerten sie sich an einige Hanfgerichte ihrer Großmütter. Noch detaillierteres Wissen steuerte sein Vater Mustapha, bei, der täglich im Grill sitzt und dort – wie Mustapha Kemal Atatürk – Raki mit Wasser (Löwenmilch) trinkt. Auf seiner Visitenkarte firmiert Yussuf als „Hanfbäcker“, einen Ofen muß er indes erst noch in seinem Lokal installieren. Neben Hanfklamotten und -papier stellt sich über das neue Produkt Hanf-Backwaren nun so etwas wie ein expandierendes alevitisch-kurdisches Netzwerk her.
Interessant daran ist neben dem darin gepflegten Familiarität die enge Zusammenarbeit der Ladenbesitzer untereinander, die darauf gerichtet ist, weitere Läden zu eröffnen und dabei Neues auszuprobieren: Im Gowende ist es ein afikanischer Koch, den man dort einstellte, im Kirvem sind es deutsche und türkische Zeitungen, die man dort im Dutzend auslegt, ähnlich wie übrigens auch im Café Malete in der Chausseestraße, das einige Kreuzberger Türken vor kurzem von einer Gruppe junger Ostberliner übernahmen. Diese waren ihrem Restaurant-Betrieb irgendwie nicht gewachsen gewesen: täglich fehlte irgendetwas, mal waren es die Zeitungen, mal die Milch oder der Zucker für den Cappuccino. Und wenn die Bedienung allzu großen Liebeskummer hatte, blieb das Lokal ganz geschlossen, schließlich öffnete es überhaupt nicht mehr. Es schien, als ob der Café-Alltag sie fertig gemacht hätte. Yussuf und Nico entgehen dem Alltag, indem sie permanent ihren Aktionsradius ausweiten, wobei die dazu notwendige Geldbeschaffung jeweils die nächsten Grenzen setzt. Dahinter fängt man quasi immer wieder bei Null an, auf neuem Terrain und mit neuen Verbindungen. Die Kontinuität wird durch die mitarbeitenden Familienmitglieder gesichert. Wenn Mustapha im Grill sitzt, hat das etwas angenehm Bremsendes. Denn worum geht es in einem Lokal? Daß man dort immer jemanden trifft, mit dem man essen, trinken und reden kann. Helmut Höge
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