■ Normalzeit: Das Schlögelhafte
Es gibt Flegel und Schlögel. Beide leben in Kreuzberg, und das nicht immer einträchtig. Der Kreml-Astrologe Karl Schlögel aus der Köpenicker Straße, jetzt GUS-Professor in Konstanz, hat sogar einen Gutteil seiner Kraft dem Kampf gegen die autonomen Kreuzberger Flegel gewidmet, die er „Landsknechte“ nennt. Er selbst wird deswegen der „Wrangel-Wolf-Jobst-Siedler“ genannt.
Sein publizistischer Feldzug gegen die Autonomen begann kurz vor dem 1. Mai 1987 im Tagesspiegel. Es ging darin um die Lärmglocke über dem Kiez. Für diesen äußerst hellhörigen „Essay“ bekam Schlögel einen „Autorenpreis“. Es folgten harsche SFB-3-Polemiken (in der Reihe „Aus dem Fenster gesehen“). Nach drei 1.-Mai-Krawallen wurde Schlögel paranoid. In der FAZ befürchtete er, daß es bald „zwischen Müll und Nicht-Müll keine Unterscheidung mehr“ in Kreuzberg geben würde. Denn „wenn der Landsknecht feiert, dann ist es schon ein richtiges Fest, möglichst nach Mitternacht, möglichst mit starken Lautsprecherboxen. Wenn er gefeiert hat, steht die Stadtreinigung schon bereit, gratis zu Diensten. Denn Handarbeit, selbst die bescheidenste, verachtet der Held, der zu Höherem berufen ist... Jede Zeit hat die Desperados, die sie verdient, und jedes Gemeinwesen hat die Freibeuter, die sie sich gefallen läßt.“ Just zu der Zeit, als massenhaft Entmietungen einsetzten (Stichwort: „Dachgeschoßlumpen“), schrieb Schlögel: „Das aufgeklärte Kreuzberg spricht über seine geheimen Pläne, nämlich wegzugehen, nur im kleinsten Kreis. Das ist das Hauptthema.“ Das war nur dreist gelogen! Abschließend hieß es jedoch: „Ein Viertel, das seine Autonomie wiedergewonnen hat, hat Berufsautonome nicht nötig.“
Diesen Gedanken hat Schlögel nun, da die meisten Flegel in den Osten vertrieben wurden, in der FAZ (vom 3. Dezember) wieder aufgegriffen – und zwar anläßlich der Eröffnung der Oberbaumbrücke; ein Einschnitt, den Schlögel als Wiederanknüpfung „liest“: „Baustellen sind wie Wirbel“ und „Die Stadt gewinnt an Tempo“. Der langandauernde Widerstand gegen die Brückeneröffnung wird mit keinem Wort erwähnt. Dabei hatte gerade das „aufgeklärte Kreuzberg“ dagegen aufgemuckt. Erwähnt sei der AL-Verein SO 36, der gerade wegen seiner Beteiligung am Oberbaumbrücken-Widerstand beim Bezirksamt in Ungnade fiel. Schlögel hatte seinerzeit noch mit einigen Vereinsmitgliedern im Projekt „Café des Ostens“ zusammengearbeitet.
In seinem FAZ-Essay bemerkt er über deren Niederlage nur: „Man blickt aus dem Fenster auf die Straße und liest in dieser faszinierendsten Enzyklopädie der Stadt das neueste Kapitel... Parolen und Graffiti – Lebenszeichen einer Stadt im Wartestand – verschwanden.“ Dann folgen Sätze, wie sie der FAZ-Leser liebt: „Alles geschah in Sequenzen, die ihre eigene Folgerichtigkeit hatten, und in Intervallen, denen man kaum zu folgen vermochte.“
Und noch genauer: „Nun ist es nicht mehr der Lärm der auf volle Lautstärke gestellten ,Einstürzenden Neubauten‘, sondern der gleichmäßig hohe Lärm von der Straße her.“ Dem folgt ein Satz, der auf der nach oben offenen Hartung-Skala für verquaste Verblendung nur mit „Bingo“ zu bezeichnen ist: „Es entsteht das ganze komplizierte Regelwerk aus Vorfahrt und Anhalten, die Disziplin des Stop and Go... Seine privilegierten Beobachter und Teilhaber in einem sind die Einwohner... Wir sind zu Zeugen eines Augenblicks geworden, der so kostbar ist wie jeder ,historische‘.“
Ich würde sagen: Wir sind Zeuge geworden, wie aus einem einigermaßen intelligenten Menschen mit der nationalen Wende ein blödes FAZ-Arschloch wurde – finally, und das mitten in SO 36. Helmut Höge
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