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In Mitte residiert der Verlag Mink. Die Herausgeber des dort erscheinenden Berlin-Bulletins Salbader schreiben in der 13. Ausgabe über ihren Verleger und Antiquar: „Wenn ihr einmal durch Mitte spaziert, und es kommt Euch ein zerknirschtes vierzigjähriges Gesicht entgegen, eingerahmt von langen, langen, strähnigen, straßenköterblonden Haaren, womöglich gar zum Zopf gebunden, dann lächelt doch bitte trotzdem recht freundlich und sagt: ,Grüß Gott, Herr Mink!‘ Daß die Haare scheiße aussehen, das weiß er auch so.“ Der Salbader ist eine Zeitschrift für den Hyperalltag, die den „Mein Staubsauger und Ich“-Ansatz fortführt, aus dessen Mitte einst der vom Erfolgswillen beseelte Max Goldt hervorging, den der Spiegel gerade als Spießer-Ideologe enttarnte. Was ähnlich absurd ist, wie wenn ausgerechnet im Tagesspitzel der von der taz zur Zeit wechselnde Arno Widmann als „Verräter“ gebrandmarkt wird – so geschehen am 28.1. von Kolumnist TM, was ist das eigentlich für ein Vogel? Textprobe: „Die intellektuelle Rechte wird aus solcher Schwachbrüstigkeit ihr Kapital zu schlagen wissen.“

Es gibt bestimmte Dinge, die darf man einfach nicht in einer bürgerlichen Zeitung verhandeln, nicht einmal mehr in der West-taz! Zum Beispiel über Gregor Gysi und Sahra Wagenknecht herziehen, IMs das Leben schwer machen, Volvofahrer nolens volens als 68er bezeichnen oder das Anlegen von Mountainbike-Wegen in einer AB-Maßnahme für arbeitslose Stahlarbeiter begrüßen. Da müßte dann uneigentlich und augenblicklich das greifen, was mein Vater bereits 1967 empfand/empfahl: „Journalisten brauchen mehr Prügel als Butterkuchen!“ Zurück zum Salbader: Auf Seite 7 finden sich einige Kurzgeschichten von meinen Lieblings-Kolumnisten aus dem Scheinschlag (Duschke und Bjerg). Eine geht so:

In der U-Bahn sitzt ein Mann. Er schaut vor sich hin. Nach einer Weile sagt die Frau neben ihm: „Kuckstn so komisch?“ Er: „Bin nachdenklüsch.“ Sie: „Wat schlimmet?“ Er: „Nö. Bin ehmt nachdenklüsch. Im Rahm' meiner Möglichkeiten.“ Sie, nach kurzer Pause: „Schon lange?“ Er: „Seit Fehrbelliner Platz.“

Weiter hinten steht: „Ich bin für heute mit dem Denken durch.“ Es folgt ein alkoholischer Absturz und sodann im Fernsehen eine sanft erotische Frauenstimme, die aus dem Off die Vorzüge einer noch sehr jungen Einrichtung preist: „In Zeiten schwerer wirtschaftlicher Rezession passiert es vielen Menschen, daß sie von einer sozialen Schicht in eine tiefere wechseln müssen. Dieser Wechsel fällt den meisten schwer und verursacht häufig erheblichen Unmut und arge Orientierungslosigkeit. In unseren neuen Ausbildungs- und Trainingslagern ,Sag' ja! zu deiner sozialen Schicht‘ werden Sie in einem sechswöchigen Schulungskurs zu perfekten Repräsentanten Ihrer neuen, nach dem Absacken zu erwartenden Schicht, der Zielschicht, herangebildet.“

Die Trainingslager gibt es wirklich: Im EAW-Treptow, wo Ingenieure und Schlosser für Roland Ernst Dreck wegräumen (einer, Willi vom WF, hat sich gerade, noch vor Ablauf seiner ABM, totgesoffen). Im kostenlosen Berliner Abendblatt, wo DDR-Diplomaten und -Staatssekretäre Sonderangebots-Anzeigen akquirieren (einer tapeziert gerade nach Feierabend die Zimmer seiner Tochter in einem besetzten Haus in Friedrichshain). Bei den Bausparkassen, wo HO-Buchhalter und LPG-Ökonomen von NVA- und Volksmarine-Offizieren als Vertreter „geführt“ werden (einer der Ex-Offiziere schrieb seine Doktorarbeit summa cum laude einst über „Die Eroberung Schleswig-Holsteins“, sie wird noch immer unter Verschluß gehalten).

Auf Salbader-Seite 38 heißt es: „Der Fachbegriff für Kaffee und Käsebrötchen lautet ,Catering‘“. Und auf Seite 42 schreibt Jürgen Witte: „Und jetzt der Big Bäng. Alles aufklären und gleichzeitig die letzte Klarheit unterminieren.“ Eigentlich ist der Salbader viel besser als der Sklave, von der New York Review of Books gar nicht zu reden, mehr wollte ich hier nicht sagen. Helmut Höge

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