■ Normalzeit: Über Gegensprechanlagen sprechen
Die Gegensprechanlage war gerade installiert, da klingelte es auch schon unten an der Haustür: „Ja?!“ – „Post für Sie!“ – „Moment!“ – Ich drückte den Summer und ging die vier Treppen runter zum Briefkasten. Es war das Flugblatt eines Kohlenhändlers. So ein Scheiß – ich habe Zentralheizung! Und dann hätte ich es auch wissen müssen: Die Briefträgerin war längst durch. Zwei Stunden später klingelte es erneut. Diesmal hieß es: „Eine Mitteilung für Sie!“ Ich ließ den Mann zwar herein, ging aber nicht gleich nach unten. Wie ich später feststellte, war es der Lokalanzeiger gewesen, der kostenlos die Briefkästen verstopft. Noch später klingelte es noch einmal. Der Stimme nach zu urteilen, war es ein Türke: „Reklame“, sagte er selbstbewußt. Ehrlichkeit muß belohnt werden: Ich drückte erneut den Summer.
Am nächsten Tag klingelte die wahre Postbotin. Sie hatte zwei Briefe für mich – beide von der Firma „tss“ aus Augsburg. Rechnungen „zur Nutzung der Antennenanlage und Türsprechanlage“. Meine Wohnung hat nur einen Kabelanschluß, und seit wann bezahlt man für die Türsprechanlage? Und dann auch noch an solch eine obskure bayrische Firma? Ich schickte sie umgehend zurück, mit der Bitte um Aufklärung. In den folgenden Tagen galt meine Aufmerksamkeit den Gegensprechanlagen. In Mitte hatten sie überall solche Dinger eingebaut. Beleuchtete Hausnummern und Gegensprechanlagen. Rund um das Deutsche Theater beschwerten sich die Mieter bereits bei ihrer KWV: „Gibt es nichts wichtigeres als diesen Scheiß? Die Fenster schließen nicht richtig, die Haustür ist kaputt“, usw.
Dennoch waren die Gegensprechanlagen erst mal eine echte Herausforderung. Die Kinder führten von der Straße aus Taschengeld-Verhandlungen mit ihrer Mutter. Die Omas antworteten auf die Frage: „Wer ist da?“ penetrant mit: „Ich!“ Die abends heimkehrenden Ehemänner gifteten: „Nun mach schon auf!“ Diese GA-Kommunikation bedurfte einer ähnlichen absurden intellektuellen Anstrengung wie die Programmierung des AB („Hier ist der Anrufbeantworter von ...“).
Einmal wurde ich in der Novalisstraße Zeuge einer Dealer- Endverbraucher-Verhandlung: „Was, du hast nichts da?“ – „Mach auf, ich brauch nur ein kleines Stück.“ – „Was? Gar nichts? Na, dann komme ich morgen noch mal wieder. Tschüs!“
Die GA-Vertreter (von tss?) waren inzwischen im Umland aktiv geworden. Viele Hausbesitzer mit Vorgärten hatten sich extra kleine Säulen an der Straße mauern lassen, damit dort eine solche Anlage installiert werden konnte. Was für ein Wahnsinn! In Priort hinter Spandau war Eva mit ihrer Cousine zur Nachbarin gegangen, die eine Heißmangel betrieb. Sie sollten Wäsche abliefern. Die Nachbarin war die erste im Dorf, die eine GA an der Haustür besaß. Ihre Hofeinfahrt wurde gerade neu gepflastert und war noch eine Baustelle. Eva und ihre Cousine rannten die letzte Strecke bis zur Haustür. Jede wollte die erste sein. „Wir hatten beide noch nie so ein Ding bedient. Das kannten wir doch bisher gar nicht“, erzählte Eva.
Plötzlich fiel die Cousine hin und schlug mit dem Kopf an einen Stapel Gehwegplatten. „Sie war wie weggetreten und blutete am Kopf.“ Eva wollte sogleich über die neue Gegensprechanlage Hilfe erbeten. Die Nachbarin besaß diese Anlage zwar schon länger und war dementsprechend geübt, aber dieser Notfall überforderte sie völlig. Sie ging, wie früher, ans Fenster, öffnete es, um direkt mit Eva zu reden. „Meine Cousine mußte dann ins Krankenhaus. Das war mein erstes Gegensprechanlagen-Erlebnis“, so Eva, die mir zum Schluß noch den Rat gab: „Mach doch mal was über Gegensprechanlagen!“ Was hiermit eigentlich geschehen ist. Helmut Höge
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