piwik no script img

■ NormalzeitPrekäre Schülerzeitungs-Verhältnisse

So wie die große Ku'damm- Schülerdemo aufgelöst wurde, enden auch viele Schülerzeitungen: Die Direktoren zensieren sie derart, daß sich die Initiativen zerstreuen. Im Zeitungs-Workshop der zweimal jährlich tagenden Schülerkonferenz wird immer wieder darüber geklagt. Die Ost-Gymnasien sind übrigens in diesem Gremium, das für alle Schüler offen ist, kaum vertreten. Nicht wenige West-Redakteure entgehen dem Zensurkonflikt, indem sie „nichtssagende Hochglanzdinger“ auf ihren Computern hestellen. Wie zum Beispiel am Steglitzer Heese-Gymnasium, wo dreiviertel der Lehrer „Krawattenträger aus Überzeugung“ sind. Dennoch sind die meisten der etwa 30 bis 40 Berliner Schülerzeitungen eindeutig links-polemisch und PDS-freundlich eingestellt. Die Redakteure der Spätlese, fünf Oberstufler des Schöneberger Rheingau-Gymnasiums, sehen ihr 3-Monats-Blatt „in der Mitte“ angesiedelt. Sie haben einen „toleranten Direktor“ und überhaupt wenig Konflikte an der Schule: „Mit Gewalt zum Beispiel keine Probleme.“ Über 50% der Schüler würden die Grünen wählen, ergab gerade ihre Umfrage.

Die Spätlese wird pro Ausgabe 200mal fotokopiert und für eine Mark verkauft, außerdem werden noch Anzeigen akquiriert, von Pizzerien zum Beispiel. Und ein Pizzaessen gönnt sich die Redaktion nach jeder neuen Nummer als Aufwandsentschädigung. Das Rheingau kooperiert mit der benachbarten Paul-Natorp- Schule (PNS), wo es politischer zugeht: „Mit Autonomen und Ost-Hausbesetzern!“

Dafür läuft im Rheingau schon mal eine maltesische Schülergruppe herum: Der Direktor forciert den Schüleraustausch: nach Kanada, Paris – und Malta. Andere Schulleiter fördern „Jugend musiziert“, „forscht“ oder „trainiert für Olympia“. Das alles gibt es am Rheingau nicht, dafür jede Menge Schüler, die während des Unterrichts „wie verückt“ Comics zeichnen: Das kommt der Schülerzeitung unmittelbar zugute! Weniger dagegen die Geldnöte der potentiellen Autoren: Zu viele haben Nachmittagsjobs – in Cafés, Saunas und vor allem im Supermarkt des „Forum Steglitz“, dessen Schülerarbeitsplätze fest in den Händen des Rheingaus sind. Gerade hat einer seinen Job in einer Pizzeria zum Beruf gemacht und die Schule „ganz geschmissen“. Die Spätlese-Redakteure sehen solche, die schnelle Karriere suchende „Abbrecher“, nicht als Verlierer: „Die wahren Gescheiterten machen weiter – auf einer Privatschule, dem Kant- Gymnasium zum Beispiel.“

Die meisten ausländischen Rheingau-Schüler kommen aus Kreuzberg und stammen aus dem Nahen Osten. Von ihnen beteiligt sich keiner an der Spätlese. Im Gegensatz dazu werden einige Kreuzberger Schülerzeitungen bereits ausschließlich von ausländischen Schülern gestaltet. Die Spätlese hat keinen Chefredakteur, man engagiert sich gegen die zentralistische Einrichtung „Landesschulamt“, thematisiert „Chiapas“ und „Ein Leben ohne Kaugummi? Niemals!“ aber auch „gesamtdeutsche Mathematikeettbewerbe“ und die idiotischen Angriffe gegen die PDS. Einen Text, der mit dem Satz anfängt „Der Mensch ist ein einsamer Jäger; innerlich ausgetrocknet vertuscht er seine blutende Seele ...“ versieht die Redaktion mit dem Hinweis: „Dieser Artikel wurde im Zustand geistiger Unzurechnungsfähigkeit geschrieben!“ Das regelmäßige „Schulpärchen-Interview“ wurde eingestellt, weil anschließend stets die Beziehungen der Interviewten zu Bruch gingen. Einer Lateinlehrerin wird nachgerufen: „Warum ihre fünf Pudel russische Namen erhalten haben, ist ihr Geheimnis ... Wir erinnern uns nicht nur an den Unterricht, sondern auch an den obligatorischen Strickpulli mit aufgenähten Kätzchen (,The Cat is nice‘), der zu großen Aktentasche, die sie langsam und mit Tippelschritten treppauf, treppab trug.“ Im übrigen würde man gerne mehr – teure – Fotoromane bringen: „Die kommen sehr gut an!“ Mein Vorschlag, mit dem Computer neben der selbstausbeuterischen Zeitung auch privilegienheischende Presseausweise herzustellen, wird als „bedenkenswert“ bezeichnet. Helmut Höge

wird fortgesetzt

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen