■ Normalzeit: Mixed-Use-Komplexe
Die Bürosilos am Checkpoint Charlie werden von ihren Developern zärtlich „Mixed-Use- Komplex“ genannt – alles Quatsch! Ende 1992, auf dem Höhepunkt des Immobilienwahns („Fonds brauchen Raum“), als in Charlottenburg sogar Ärzte und Notare reihenweise entmietet wurden, diskutierten wir einmal im Café Hegel Alternativen für sie. Da zugleich zwischen Schiller Theater und Volksbühne immer mehr Kneipen aufmachten, von denen viele tagsüber nahezu leer waren, schlug ein Scheidungsanwalt vor, die Kanzleien doch kurzerhand einfach dort einzuquartieren – in Kairo sei so etwas gang und gäbe. Und auch hier würden sich die Anwälte schon häufig in Cafés mit ihren Klienten verabreden bzw. neue Kunden dort aufreißen. Ihre Kanzleimitarbeiter könnten dabei gut und gerne zu Hause arbeiten, dazu ließe sich die blödsinnige Anschaffung eines Handys mit Fax endlich sinnvoll einsetzen. Natürlich wurde aus dieser Basis- „Mixed-Use“-Idee wieder mal nichts!
Drei Jahre später fiel sie mir wieder ein, als die HdK-Studenten wegen Kürzungen und Abteilungsschließungen anfingen aufzumucken. Bis heute haftet den studentischen Protestdemos und -transparenten jedoch etwas absolut Fades und Überholtes an. Dabei wäre es so einfach, ebenso konkrete wie gemeine Gegenvorschläge zu machen: Überall in Charlottenburg hat die HdK z.B. irgendwelche Büroquader, -etagen und -räume für teures Geld gemietet, schon allein um den ganzen dusseligen Developern der Vorwendezeit die versprochenen Abschreibungen nicht zu vermasseln. Warum reduzieren die Studenten nicht einfach ihre Arbeitsräume auf die alten HdK- Kerngebäude, wo dann der Unterricht dreischichtig stattfindet – und zwingen damit die Verwaltung, Mieten in Millionenhöhe einzusparen?
Nichts ist unwichtiger und auch alberner als umbauter Raum, bei dem jeder Kubikmeter bloß Geld verschlingt! Aber diese auf den Hund gekommene Hausbesetzergeneration, die von Oberlicht-Ateliers mit Ölfarbengeruch und niedervoltlampenbestückten Galerieräumen in Bestlagen träumt, hat sich damit einfach zur Immobilität (sic) verdammt – und kann deswegen mit dem Straßenraum nicht viel mehr anfangen als die niederrheinischen Jusos Mitte der Sechziger Jahre. Und so sehen ihre „Aktionen“ und „Kämpfe“ dann auch aus.
Pünktlich zum 1. Mai wurde jedoch die scheidungsanwaltliche Mixed-Use-Idee doch noch Wirklichkeit: in der Endart-Galerie, Oranienstraße 28. Die Endart-Leute hatten ihre Räume schon seit Jahren mit einer Sozialstation ganz eigener Art verkoppelt gehabt, wobei Kunst und Klientel aufs schönste wechselwirkten. Das ging so weit, daß die Drogenabhängige „Sunshine“, die aussah wie von George Grosz entworfen und irgendwann von der Sozialarbeiterin zum Sozialfall übergewechselt war, ein regelmäßiges Taschengeld von Endart bekam. Am 1. Mai fand dort nun eine „Officeparty“ statt, die vom frischbestellten Rechtsanwalt Lüko Becker vortrags- und büffetmäßig ausgerichtet wurde. Der Westersteder Jungjurist wird künftig in der Endart- Galerie praktizieren. Dem Raum und dem Eröffnungstag gemäß bot er seine legal advices insbesondere bei Kunst- und Sportproblemen, insbesondere Baseball, an – sprich: bei Pornographie und Gewalt. Daneben stehen auch investigations auf seinem Programm. Was immer das heißen mag. Und wenn er mal nicht in seinem Endart-Büro sitzt, dann ist er stets schräg gegenüber in der Kneipe zu erreichen. Das hat er jedenfalls am 1. Mai versprochen. Helmut Höge
wird fortgesetzt
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