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■ NormalzeitArbeitsplatz-Doppelstrategien

Einmal im Kollektiv: am Samstag auf der Straße des 17. Juni vor der Brandenburger Torheit – die DGB-Kundgebung gegen Sozialabbau. Und zeitgleich die Individualstrategien am anderen Ende der Straße im TU-Hauptgebäude: „Gründertage 96“. Während hier rund 800 Damen in sandfarbenen Kostümen mit „Gucci“-Halstüchern und Herren in hellen Sakkos mit Bügelfalten zwischen den Ständen von Banken, Unternehmensberatern, Industrie- und Handelskammern sowie Innovationscentern herumschlenderten, standen dort etwa 43.283 mit Bussen aus Eberswalde, Hoyerswerda, Barnim, der Prignitz und Cottbus herangeschaffte Gewerkschaftsmitglieder, kenntlich an ihren roten Schirmmützen mit „IG Metall“-, „IG Bau“- und „IG BSE“- Emblemen, vor holländischen Großleinwänden, Bratwurstbuden und Toilettencontainern. Dem kollektiven Abwehrkampf gegen Sozialabbau entsprechend hörten sie face to face den kämpferischen Reden der DGB-Sprecher zu, pfiffen, nickten und schwenkten Gewerkschaftsfahnen. Anschließend verdrückte man sich in kleinen Gruppen in Richtung Kurfürstendamm. „Jetzt haben wir es dem Klassenfeind aber mal wieder gegeben“, meinte ein Teilnehmer aus Oranienburg ironisch.

Auffallend war, daß die Teilnehmer an der Kollektivveranstaltung weitaus dickbäuchiger waren als die bei den Gründertagen. An Beratern für „Machen Sie sich doch selbständig!“ fehlte es dort nicht, eher schon an Existenzgründungswilligen. Die Hostessen am großen Stand der Berliner Landesbank/Sparkasse spielten aus Langeweile Golf. Ja! Golf: Es gab eine Mini-Driving- Range bei der LBB.

Denn, wie eine Untersuchung von Capital jüngst ergab: „Für die Kontaktpflege im Business gibt es nichts Besseres als den feinen Sport.“ Freilich schwankt der „zusätzliche Umsatz“, den das Golfspiel mit Geschäftspartnern einbringt, von Branche zu Branche noch stark: zwischen 30 Prozent (Auto/Chemie/Pharma/ Computer) und 1 Prozent (Maschinenbau/Banken/Versicherungen). Für karrierebewußte Individualstrategen ist es jedoch ebenso wichtig zu wissen, daß „rund 70 Prozent aller Positionen ab einem Jahresgehalt von 175.000 DM mit golfspielenden Bewerbern besetzt werden“. Die Bankgesellschaft Berlin trägt diesem Faktum auch real Rechnung, indem sie – über den Vorstandssprecher ihrer Hypo-Tochter: Landowsky – den ehemaligen Alliierten-Golfplatz in Wannsee bespielen läßt.

Auf den Gründertagen wurde speziell dem hohen Golfspieler- Anteil in der Branche „Computer“ dadurch Rechnung getragen, daß schon mal an jedem zweiten Stand ein Bildschirm flackerte. „Ohne Computer geht heute gar nichts mehr“, meinte einer der TU-Pförtner ganz unironisch. Anscheinend trifft dies auch auf die „Innovationscenter“ zu, von denen es bald in und um Berlin ebenso viele wie Golfplätze gibt. Erwähnt sei der Steglitzer „Focus Mediport“, das „Technologie- und Gründerzentrum Spreeknie“ sowie Norbert Meisners Borsig- Zentrum „Phönix“.

Das dumme an diesen Centnern ist nur, daß die damit verbundene vertikale Entmischung zugunsten einer horizontalen Homogenität den jungen Ausgründern die Existenz eher schwerer als leichter macht: Ein Jungunternehmer aus Kreuzberg, dem man Räume in Adlershof angeboten hatte, sprach von dortigen „Notgemeinschaften“ und meinte damit, daß seine High-Tech-Firma gerade die „Kreuzberger Mischung“ benötige – also die Nähe zu Handwerks- und Zuliefererbetrieben. Was sie gerade nicht brauchten, das sei die Nähe zu anderen High-Tech-Firmen, die ähnliche Dinge wie sie entwickeln. Um es kurz zu sagen: Während es am einen Ende des 17. Juni um die Solidarität ging, war am anderen Ende eher Entsolidarisierung angesagt.

Auch die Existenzgründer flanierten anschließend noch über den Kurfürstendamm und vermischten sich dort mit den Demo- Teilnehmern zu einem Zug von Konsumenten – im Leerlauf (denn die Läden hatten am Samstag nachmittag alle geschlossen). Helmut Höge

wird fortgesetzt

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