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Emergency Room BRD ■ Von Helmut Höge
Wir saßen bei Kam – in der „Kantine“ der vietnamesischen Markthalle in der Rhinstraße – und schlürften eine Nudelsuppe. Plötzlich platzte Kam damit raus: „Ihr Deutschen seid verdammte Heuchler!“ „Ihr?“, fragte ich – noch kauend. „Nur weil ich Deutsch kann und in Bremen geboren bin, musst du mich noch lange nicht Deutscher schimpfen.“
„Nimm es nicht persönlich“, entgegnete Kam, „aber was ich gestern erfahren habe, das schlägt dem Fass Blut und Boden aus!“ „Ihr Deutschen“, fuhr Kam fort, „schimpft über Haider und dessen Ausländerfeindlichkeit – dabei ist es hier viel schlimmer!“ „Wieso?“ „Anscheinend reicht ihr die Ausländer jetzt von der Polizei und dem Sozialamt weiter zu den Medizinern. Bald wird das Ausländerthema in Deutschland ein Gesundheitsproblem sein.“
„Interessant ...“ „Ja, es fing harmlos damit an, dass immer mehr Ausländer Fitness-Clubs besuchten, um nicht mehr so aufzufallen. Dann ging es weiter mit Schönheitsoperationen. Aber jetzt gibt es zwei Fälle, die wirklich zu weit gehen. Erstens haben sie eine Happy-Spritze für Langzeitarbeitslose entwickelt, die sie vor allem Ausländern verpassen. Die Spitze wirkt sechs Monate. Dann haben sie einer illegalen Russin, um Stresssymptome zu untersuchen, irgendwelche Messinstrumente am Hinterkopf eingebaut. Das geht zu weit.“ „Woher weißt du das?“ „Mein Gewährsmann hat es aus der Zeitung ausgeschnitten, es waren zwei Artikel – von einem Ausländer natürlich, einem Spanier, Kaminar.“ „Du meinst Kaminer, das war in der taz und in der FAZ, das ist ein Russe!“ „Auch gut“, erwiderte Kam, „du scheinst diese Fälle zu kennen.“ „Ja!“ „Und?“ „Nichts und, die Redakteure meinen, das sei Literatur!“ „Verstehe, was ist das Problem?“ „Das Problem ist“, ich stockte, „dass es keine Nachricht im strengen Sinne ist.“ „Willst du damit andeuten, dass es eher lustig gemeint ist? Damit machst du die Sache noch schlimmer!“ „Ich will damit sagen“, begann ich ganz ruhig, „dass der Autor selbst da nicht so genau unterscheidet.“ „Und warum nicht?“, fragte Kam. „Weil es ihm um anderes geht, z.B. die Freude am Geschichtenverfassen.“ „Ich habe vor, diese beiden Geschichten in unseren vietnamesischen Vereinsnachrichten nachzudrucken. Was meinst du, wie meine Landsleute das aufnehmen werden?“ Ich zuckte mit den Schultern: „Wie eine Geschichte, die sich so oder ähnlich abgespielt hat.“ „Ganz richtig. Einige werden aufschreien, andere werden gleichgültig sagen, da fehlt ,Wer?‘, ,Was?‘, ,Wann?‘, ,Wo?‘, ,Warum?‘. Und dazwischen liegt die Wahrheit, dass solche Geschichten hier zu Lande schon wieder möglich sind.“
Ich gab mich nicht gleich geschlagen: „Gleichzeitig hat die FAZ neulich eine Geschichte von Kaminer, in der es um die kriminelle Tat eines Illegalen ging, aus dem Heft gekippt, und die Süddeutsche hat einem anderen Autor, Kapielski, einen Text um genau eine solche Geschichte gekürzt ...“ „Was willst du damit sagen?“ „Dass das hier anscheinend noch nicht wieder möglich ist.“
„Ist das gut oder schlecht!“ „Ich fand es nicht richtig gegenüber den Autoren – das sind keine verbretterten Deutschen, Kaminer schon gar nicht.“ „... Aber es geht dabei doch um die einfache Frage: Schreibt er die Wahrheit oder nicht?“ „So einfach ist die Frage aber nicht!“ „Ach Gott, wie Ihr euch windet“. „Ich winde mich gar nicht!“
„Glaubst du, dass der Frau irgendwelche Messinstrumente von deutschen Ärzten in den Kopf implantiert wurden und dass man arbeitslosen Ausländern Be-Happy-Spritzen verpasst?“ „Ja, da bin ich mir sogar sicher“, sagte ich. „Dann sind wir uns doch einig!“ „Da sind wir uns vielleicht mit vielen Deutschen einig.“ „Warum sollten sie mit uns einig sein?“ „Weil auch sie den Ärzten alles zutrauen!“ „Davon rede ich doch die ganze Zeit – wir trauen unseren Ärzten gar nichts zu!“
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