Nordische Filmtage : Cineastisches Polarleuchten
Die „Nordischen Filmtage“ in Lübeck gehören zum Pflichtprogramm des Cineasten. Hier kann man Premieren noch vor der Berlinale erleben, und man kann sein Bild vom nahen und noch nördlicheren beziehungsweise östlicheren Norden (Baltikum) schärfen.
Einige, die hier debütierten, gelangten nach Hollywood, wie Bille August, Lasse Hallström und Lars von Trier. Ich sah hier meine ersten DOGMA 5, und Exotisches von den Färöern und aus Grönland. Ich begriff, dass nicht alle finnischen Filme tragikkomische Roadmovies sind, dass dafür aber die Schweden haarsträubende Psycho-Thriller drehen. Dass es in ihren Kleinstädten nicht zugeht wie in Bullerbü, zeigten Jugendfilme wie Raus aus Amal. Andererseits ist Regisseur Lukas Moodyson durchaus imstande, Härte zu zeigen – etwa in Lilja 4 ever (2003). Mit Ein Loch in meinem Herzen knüpft er dieses Jahr dort an.
Aber nicht nur Filmfans, auch Linguisten sind in Lübeck gern gesehen; sie brauchen nicht mal eine Eintrittskarte: Im Foyer der Stadthalle gibt‘s den ganzen Tag über Kino für die Ohren, wie ein sprachliches Smörgasbord, aus finnischen, schwedischen, dänischen, norwegischen und isländischen Satzfetzen komponiert. Auch polnisches, litauisches, lettisches und estnisches Idiom findet sich hier.
Das Schielen auf die Prominenz läuft in Lübeck weniger spektakulär ab als in Cannes oder Berlin. Der finnische Musiker und Regisseur M. A. Numinen etwa stand eines Abends einfach an der Bar, und die Ehrenpräsidentin Liv Ullmann ist über einen gewöhnlichen blauen Kinoteppich gelaufen. Astrid Lindgren war 1987 da, Lars von Tier noch nie. Vielleicht hätte die Ruhe dann ein Ende. In diesem Jahr wird Mika Kaurismäki erwartet.
Beim den ersten „Nordischen Tagen“ 1956 gab es übrigens sechs Filme, die als Beispiele nordischen Filmschaffens dienen sollten; 1988 kamen Beiträge aus Schleswig-Holstein dazu. 1989 wurden die baltischen Staaten integriert. Und die Zuschauerzahlen sind im vorigen Jahr auf 18.500 gestiegen; der NDR und andere Institutionen beteiligen sich an der Förderung. Inzwischen werden acht verschiedene Preise vergeben. Die Konsuln der skandinavischen Regierungen halten ihren Schirm über alles.
Insgesamt ist im Lauf der Jahre alles größer, bedeutender und mehr geworden, auch hier. Nur weniger Kinos sind allerdings im Spiel, seit das ehemalige Lichtspielhaus Stadthalle zu einem „Cinestar“ mit acht Sälen umgebaut wurde. Hier und im alten Lübecker Kino Hoffnung läuft das Programm; beide sind zirka sieben Gehminuten voneinander entfernt. Früher musste man noch raus in den Regen, um die anderen Kinos zu erreichen.
Trotz zunehmender Superlative des haben es die „Nordischen Filmtage“ allerdings geschafft, ihre Intimität zu wahren. Nach fast jeder Vorführung kann zum Beispiel der Regisseur befragt werden. Wahrscheinlich ist Lübeck für all dies ideal geeignet – als Hanse-, Partnerstadt des finnischen Kotka und als wichtiger Anlaufpunkt skandinavischer und baltischer Fährlinien. Wohltuend auch, dass es eine überschaubare Stadt ist, die Konzentration erlaubt. Dies ist übrigens auch deshalb praktisch, weil es zwar keine Parkplätze, aber auch nie lange Wege gibt. Kommen Sie also am besten per Schiff! Imke Staats