■ Nordirlands Protestanten sind zum Waffenstillstand bereit: Wer gewinnt, wer verliert?
Der Waffenstillstand, den die Loyalisten gestern verkündet haben, ist ein wichtiger Schritt im nordirischen Friedensprozeß. Er ebnet den Weg für den Runden Tisch, an dem die beteiligten Parteien und Organisationen über Verwaltungsstrukturen in der Krisenprovinz verhandeln müssen, die für alle Seiten akzeptabel sind. Der Zeitpunkt des Waffenstillstands zeigt, daß die britische Regierung mehr Einfluß auf die loyalistischen Paramilitärs hat, als sie zugibt: Auf dem Tory-Parteitag in Bournemouth stand gestern die Nordirland-Debatte auf der Tagesordnung, und die Waffenruhe ist eine gute Nachricht für eine Partei, die derzeit wenig zu lachen hat.
Die Gründe, die von den Loyalisten für den Waffenstillstand angeführt werden, bergen für die IRA und Sinn Féin, ihren politischen Flügel, erhebliche Gefahren in sich: Man habe die Waffen niedergelegt, weil die Grundbedingung – die Garantie der Union mit Großbritannien – sichergestellt sei. Unionistische Politiker gehen sogar noch einen Schritt weiter, wenn sie erklären, daß der anglo-irische Rahmenplan – über den ja erst am Runden Tisch verhandelt werden soll – nichts enthalte, was sie besorge.
Unterschiedliche Wahrnehmungen spielen eine große Rolle. Der scheinbare Erfolg der einen Seite wird von der anderen automatisch als Niederlage empfunden. So waren Loyalisten und Unionisten zutiefst mißtrauisch, als die IRA vor sechs Wochen die Waffen niederlegte, weil man Zugeständnisse vermutete. Diesmal ist es umgekehrt: Die loyalistische Zuversicht über die Zukunft der Union mit Großbritannien stürzt Sinn Féin in ein Dilemma, weil man den IRA-Waffenstillstand vor den eigenen Anhängern als Sieg interpretiert hat. Doch der britische Premier hat keine der Erwartungen, die Sinn Féin in den katholischen Ghettos des Nordens geschürt hat, bisher erfüllt. Warum auch?
Major weiß, daß er seinen Rahmenplan lediglich den nordirischen Sozialdemokraten schmackhaft machen muß. Sollte Sinn Féin ihn ebenfalls schlucken, wäre das ein Bonus, aber keine Grundvoraussetzung. Sinn Féin repräsentiert in Nordirland nur die Minderheit einer Minderheit, in Südirland nicht mal zwei Prozent der WählerInnen. Und die IRA kann eine Aufhebung des Waffenstillstands nicht ernsthaft in Betracht ziehen, nachdem sie das unionistische Veto gegen ein vereintes Irland grundsätzlich anerkannt hat. Gegen was sollte sich eine neue Gewaltkampagne dann richten, wer sollte sie unterstützen? So könnte Sinn Féin am Ende als Katalysator für den Friedensprozeß, doch ohne den geringsten politischen Einfluß dastehen. Ralf Sotscheck
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