Nordirak: Paradies unter Artilleriebeschuss

Die Menschen im irakisch-kurdischen Grenzgebiet sehnen sich nach Frieden, doch wieder stehen die Zeichen auf Krieg.

"Jeder hat Angst" - kurdische Kämpfer bei Dohuk. Bild: ap

DOHUK taz Es ist ein ruhiger Tag. Vor uns liegt eine malerische Berglandschaft mit Knorreichen, Pappeln und einer Art Kautschukbaum, aus dem die Kurden ein traditionelles Heilmittel gegen Magenverstimmungen gewinnen. An den Wegrändern blühen hohe Distelgewächse, und die Luft riecht würzig herb. Die Gegend könnte ein Urlaubsparadies für Bergwanderer sein, doch daran ist vorläufig nicht zu denken. Wieder einmal stehen die Zeichen in dieser abgeschiedenen Region an der irakisch-türkischen Grenze im Norden von Dohuk auf Krieg.

Beinahe täglich schlagen hier Artilleriegeschosse von der anderen Seite der Grenze ein. Einige Felder sind dadurch in Brand geraten, aber noch haben die Geschosse keine größeren Schäden angerichtet. Doch in Dure, einem kleinen Dorf östlich von Kani Masi, macht sich die Angst vor einem türkischen Einmarsch breit. Die Grenze verläuft direkt über dem Bergkamm oberhalb der Ortschaft. Auf der anderen Seite hat die Türkei im größten Militäreinsatz gegen die türkisch-kurdische Rebellenorganisation PKK seit Jahren mehrere tausend Soldaten stationiert. Immer wieder würden Soldaten auf das Gebiet diesseits der Grenze vordringen, beklagen Dorfbewohner. "Jeder hat Angst", sagt Zaya Dinka Michael. "Wenn sie wirklich einmarschieren, würden wir alles verlieren, was wir so mühsam aufgebaut haben."

Dure ist eines der noch wenigen verbliebenen Christen-Dörfer in der Region. In den Siebziger- und Achtzigerjahren wurde der Landstrich vom Saddam-Regime im Kampf gegen die aufständischen irakischen Kurden komplett zerstört. Erst im letzten Jahrzehnt konnten sie mit Hilfe der Schweizer Caritas und anderen Hilfsorganisationen wieder aufgebaut werden. "Wir wollen endlich in Frieden leben", sagt Michael. Der Mittfünfziger, der mit seiner blauen Baseballmütze wie ein Sportlehrer aussieht, ist der Dekan und Lehrer in der kleinen Gemeinde. Die PKK und die Türkei sollen ihren Kampf in ihrem Land führen, sagt er ärgerlich. "Das ist unser Land."

Sowohl die türkische Armee wie die PKK-Guerilla haben in der Nähe von Dure ihre Basen aufgeschlagen. Auf einem Hügel vor dem Ort sind in Reih und Glied Militärlastwagen und Panzer aufgereiht, die Kanonenrohre sind bedrohlich in Richtung der Bergkette gerichtet. Etwa 1.200 türkische Soldaten sind laut der kurdischen Regierung in Erbil auf vier Basen entlang der rund 370 Kilometer langen Grenze mit der Türkei stationiert.

Ins Land geholt hatte die Soldaten aus dem Nachbarland 1997 der heutige Regionalpräsident Massud Barsani von der Demokratischen Partei Kurdistan (KDP) im Kampf gegen die Patriotische Union Kurdistans (PUK), die damals wiederum mit der PKK verbündet war. Heute wollen sich aber weder KDP noch PUK, die in Erbil wie in Bagdad in einer Regierungskoalition vereint sind, in einen Feldzug gegen die PKK einspannen lassen.

Wenige Kilometer hinter Dure geht es nur noch über eine Schotterstraße weiter zum Großen Zab, vorbei an einer verlassenen Wohnsiedlung, die wie eine schlechte Kopie einer Ferienanlage am Mittelmeer aussieht. Nur einmal ist eine Frau zu sehen, die einen Hauseingang wischt.

Wie aus dem Nichts taucht vor der Brücke über den Großen Sab plötzlich ein PKK-Kämpfer auf, am Gürtel hat er eine Handgranate befestigt, um seine Schulter hängt eine alte Kalaschnikow. Hin- und hergerissen zwischen kurdischer Höflichkeit und dem Misstrauen des Guerillakämpfers erzählt er, dass er schon mit zwölf Jahren zur PKK ging und seit zehn Jahren nichts anderes kennt als den eisernen Guerilladrill, politische Indoktrination und Krieg.

"Ich bin hier, weil ich für Apo und die Freiheit kämpfe", sagt der 22-Jährige. Für ihn wie für fast alle PKK-Kämpfer ist Abdullah Öcalan "Apo" nicht nur Schutzpatron der Benachteiligten und Entrechteten, Vorkämpfer für Frauenrechte und Umweltschutz, großer Staatsmann, Sportler und Militärstratege, sondern auch der größte Philosoph seit Sokrates.

Nach und nach tauchen aus einem Schlupfwinkel auf der anderen Seite der Brücke weitere Kämpfer auf. Nervosität macht sich breit. Hier sei militärisches Sperrgebiet, sagt einer, der offenbar zu den Chefs der Truppe zählt. Die Durchfahrt könnten sie uns nicht genehmigen, auch einen Besuch in ihrem Camp nicht. Angeblich hat die Türkei Selbstmordattentäter losgeschickt, die sich als Journalisten getarnt Zugang zur PKK-Führung verschaffen wollen, sechs oder sieben seien bereits festgenommen worden.

Fernab der Hauptstädte fürchtet der Dekan Michael in Dure, dass sich eine Eskalation des Konflikts nicht verhindern lässt. "Wenn die Türkei einmarschiert, müssten wir schon wieder fliehen", sagt Michael. Von der ehemals 400 Familien großen Gemeinde sind ohnehin nur 28 wieder in die Einsamkeit des Bergdorfs zurückgekehrt. Diese wolle er nicht verlieren. "Es wäre das Ende für uns Christen hier."

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