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Nominierte 2020

Nominierte 2020: Buirer für Buir Ein gallisches Dorf in NRW

Die Initiative Buirer für Buir hat den Hambi mitgerettet – Grund aufzuhören gibt es jedoch keinen.

Ein Teil der Buirer Gallier:innen mit Büttgen (Mitte) und Grothus (2. von rechts) Bild: Hubert Perschke/ taz

von STEFAN HUNGLINGER

Buir, das sind etwa 1.600 Haushalte, zwei Kindergärten und ein S-Bahnhof auf der Strecke Köln–Aachen. Buir, das war jahrhundertelang unbehelligtes Leben und jahrezehntelang Maloche am Rand des Bürgewaldes. Dieser Wald, beziehungsweise ein kleiner Rest davon, sollte sich in den letzten Jahren jedoch zu einem internationalen Symbol des Widerstands gegen Umweltzerstörung und die klimaschädliche Kohlewirtschaft wandeln. Ganz vorn dabei beim harten und preiswürdigen Kampf um den Hambacher Wald: Die lokale Initiative Buirer für Buir.

Dabei war Klimapolitik für die „Buirer“ anfangs gar nicht zentral, erzählt Mitgründerin Antje Grothus, die ihr Engagement mittlerweile zum Beruf gemacht hat. Dass 2003 dem sich voranfressenden RWE-Tagebau zuliebe die Autobahn A4 aus dem Wald nahe an das Dorf heran verlegt werden sollte, provozierte den ersten Widerstand. „Die Initialzündung war eine Infoveranstaltung der Bezirksregierung“, erklärt Grothus’ Mitstreiter Andreas Büttgen, „wir sind dabei als Bürger behandelt worden wie das Letzte.“ Sein Demokratieverständnis, sagt Büttgen, der hauptberuflich als Nachhaltigkeitsmanager einer Versicherung arbeitet, sei damals ins Wanken gekommen.

Doch die aufgebrachten Bürger:innen um Grothus und Büttgen herum bleiben nicht untätig. Ein „Lenkungskreis“ trifft sich seitdem wöchentlich in Büttgens Wohnzimmer, informiert und mobilisiert. Die Doppelstrategie damals: Wenn die Verlegung der Autobahn verhindert werden kann, wird der Tagebau stillgelegt werden müssen und auch der Wald erhalten. 2007 dann folgt die Gründung eines Vereins, der heute etwa 100 Mitglieder aus ganz Deutschland versammelt. Denn längst stehen die Buirer für Buir für mehr als ein rein lokales Anliegen. Nicht zuletzt der enge Kontakt zu den radikalen Aktivist:innen, die seit 2012 den Hambi besetzten, weitete den Blick für Fragen des Umwelt- und Klimaschutzes und machen die Buirer Initiative zum Teil der global aktiven Klimabewegung. Die Pacific Climate Warriors von den pazifi-schen Inselstaaten traf Antje Grothus bereits am Hambacher Wald, auch Vertreter:innen des indigenen Standing Rock Revervats aus den USA.

„Unser Selbstverständnis ist heute“, erzählt Andreas Büttgen, „lokaler Ansprech-partner der Klimabewegung zu sein und durch unsere Kenntnisse der Strukturen zwischen Unternehmen und Politik den Kohle-Widerstand zu unterstützen.“ Auch ein Wohnwagen und Zelte wurden durch die Ini für die Mahnwachen am Hambi angeschafft – und ein alter Feuerwehrwagen samt Lautsprecher, der Großdemos begleiten kann, heute etwa im 40 Kilometer entfernten Garzweiler. Denn das Engagement der Buirer für Buir endete keineswegs mit der Gerichtsentscheidung, die 2018 die Rodung des Hambi stoppte. Die Initiative ist längst in übergreifenden Bündnissen präsent, die den Strukturwandel weg von der Kohle gestalten sollen.

Der Hambi bleibt bedroht

Grothus vertrat die vom Tagebau betroffenen Anwohner:innen in der nationalen Kohlekommission, im zivilgesellschaftlichen Koordinierungskreis Strukturwandel stellen sich die „Buirer“ gemeinsam mit 20 anderen Gruppen der Frage nach der Zukunft der Arbeit im Rheinischen Revier. Es gehe um ein Gegengewicht zu den Planungen der Landespolitik, so Andreas Büttgen. Aber auch vor Ort in Buir geht der Kampf weiter. „RWE baggert bis 50 Meter an den Wald heran“, erklärt Büttgen, „dabei wissen wir aus einer Studie, dass die Hitze aus dem Tagebau den Wald gefährdet. Es bräuchte einen Puffer von 500 Metern.“ Auch gegen eine „Verinselung“ des Hambi inmitten von Kiesgruben für den Tagebau gelte es zu mobilisieren. „Dieses Problem war niemandem bewusst zuvor, wir drängen jetzt auf ein Veto der Stadt Kerpen.“

Doch das Engagement der Buirer für Buir erntet nicht nur Applaus. Es gab Morddrohungen, berichtet Andreas Büttgen. Und vor Antje Grothus Privathaus protestierten 2018 100 RWE-Mitarbeitende und Gewerkschafter:innen der IB Bergbau, Chemie, Energie. Die Aktivistin setzt weiter auch auf Dialog: „Die sicheren, zukunftsfähigen Arbeitsplätze liegen nicht in der Kohle. Wer den Menschen etwas anderes sagt, belügt sie.“