Nominierte 2018 (VI): Adopt a Revolution : Aufgeben ist keine Option
Adopt a Revolution unterstützt Aktivist*innen in Syrien im Kampf für Selbstbestimmung und gegen Staatsterror.
von JANN-LUCA ZINSER
Im Jahr 2011 besuchte Elias Perabo Syrien. Da war man sich noch sicher, dass der Arabische Frühling dort nicht ausbrechen würde. Der junge Baschar al-Assad schien aufgeklärter als die greisen Diktatoren in Tunesien oder Ägypten. Außerdem erstickten die zahlreichen Geheimdienste jede oppositionelle Regung im Keim.
Durch einen Freund erhielt Elias Perabo Einblick in das das kleine aktivistische Spektrum des Landes. Perabo fragte sich damals: Was würden wir tun, wären wir Syrer? Diese Frage überzeugte auch Ferdinand Dürr von der Notwendigkeit, etwas zu tun. Perabo und Dürr waren bis dahin vor allem als Aktivisten gegen den Klimawandel unterwegs.
Gemeinsam mit einem syrischen Kollegen, Aktham Abazid, gründeten sie den gemeinnützigen Verein Adopt a Revolution. Seitdem versuchen sie mit ihrem acht Teilzeitbeschäftigte umfassenden Team Menschen zu überzeugen, dass die Zivilgesellschaft in Syrien unsere Solidarität braucht und verdient. Adopt a revolution.
Die Menschen geraten in Vergessenheit
Dabei setzen die Aktivist*innen explizit weniger auf humanitäre Hilfe, sondern eher auf Unterstützung ziviler politischer Strukturen in Syrien – und auf Öffentlichkeit. Denn die Menschen in Syrien geraten in Vergessenheit.
Während sich Deutschland in der Asylfrage windet, vergisst man jene, die in Syrien Tag für Tag um ihr Leben fürchten. Die zwischen Diktatur, bewaffneter Opposition, zahlreichen intervenierenden Staaten und deren geopolitischen Interessen ein Schicksal fristen, das man sich kaum vorstellen kann. Menschen, deren Freiheits- und Menschenrechte nichts mehr zu gelten scheinen.
Vereinsmitarbeiterin Sophie Bischoff erlebt das Elend der Menschen seit Jahren täglich und in einem Maße wie wohl nur wenige Deutsche sonst, denn sie pflegt enge Kontakte zu Aktivist*innen vor Ort. So auch Anfang 2018: Als die Vororte von Damaskus wochenlang Bombardierungen ausgesetzt waren, stand ihr Telefon nicht mehr still.
„Manche wollten sich einfach verabschieden, weil sie Angst hatten zu sterben“, berichtet sie. Andere hätten einfach nur Kontakt gesucht, um nicht alleine zu sein. „Ich wusste, ich konnte sie nicht vor den Bomben schützen, aber das Mindeste, was ich machen konnte, war, ihnen zuzuhören.“
Gewalt und Chaos
Rückblende: Vor nunmehr über sieben Jahren, im Januar 2011, hatte Assad dem Wall Street Journal noch gesagt, dass er nicht glaube, dass die Proteste des Arabischen Frühlings auch auf Syrien übergreifen. Er mahnte sogar Reformen an.
Dann folgte die beispiellose Entwicklung eines Konflikts mit nahezu weltweiten Auswirkungen: Auf die Proteste der Zivilgesellschaft reagierte das Regime von Beginn an mit derartiger Härte, dass eine Eskalation schnell unausweichlich wurde.
Schmierereien von Kindern an der Wand einer Schule führten zu deren Folterungen – führten zu Protesten besorgter Eltern – führten zur gewaltsamen Niederschlagung friedlicher Demonstrationen – und so weiter. Die brutale Reaktion des Regimes wirkte wie ein Brandbeschleuniger auf die Verhältnisse im Land.
„Jede Demo wurde zur Beerdigung, jede Beerdigung zur Demo“, erläutert Elias Perabo. Assads Gewalt produzierte große Not, großen Hass und Chaos. Und ebnete damit Extremisten den Weg. Heute sind Millionen syrischer Geflüchteter in alle Himmelsrichtungen verstreut, liegt das Land in Trümmern und ist Assad – dank seiner Verbündeten – immer noch an der Macht.
Zivilgesellschaft im Kampf gegen Dikatatur unterstützen
Dagegen setzen die Aktivist* innen von Adopt a Revolution ihr besonderes Hilfskonzept. Sie versuchen die widerständige Zivilgesellschaft vor Ort konkret in ihrem Kampf gegen Diktatur und Extremismus zu stärken.
Den Stimmlosen eine Stimme zu geben. Dass sich dies oftmals wie langwierige Sisyphusarbeit anfühlt, hält sie nicht auf: „Solidarität bedeutet auch Kontinuität“, sagt Gründer Elias Perabo. Und dank treuer Spender*innen auch kleiner Beträge kann die Fortführung der Projekte gesichert werden.
Denn auch wenn die Engagierten vor Ort pausieren müssen oder gezwungen sind unterzutauchen, möchte Adopt a Revolution die finanzielle Unterstützung fortsetzen. Viele Initiativen entstünden dann andernorts erneut, die Aktivist*innen bleiben in Bewegung.
Deutsche Öffentlichkeit erobern
Der syrische Autor Haid Haid hat in Zusammenarbeit mit dem Verein eine Studie zur zivilgesellschaftlichen Extremismusbekämpfung in seinem Heimatland veröffentlicht, welche aufzeigte, dass ein Ansatz, wie Adopt a Revolution ihn verfolgt, erfolgreich sein kann: Wenn lokale Strukturen internationale Unterstützung erfahren, können sie widerstandsfähige Strukturen aufbauen und sich so der Radikalen erwehren.
Allerdings, diese Unterstützung blieb von Anfang an marginal. Internationale Solidarität? Weitgehend Fehlanzeige. Mittlerweile haben sich die Interessen internationaler Akteure längst verschoben, es werden Stellvertreterkriege geführt, um die Zivilist*innen schert sich niemand mehr. Dagegen engagiert sich der Verein mit Öffentlichkeitsarbeit in Deutschland. Die deutsche Öffentlichkeit zu erobern, ist das Ziel.
Beispielsweise werden geflohene Aktivist*innen mit dem Format „Talking about the Revolution“ beraten und unterstützt, um sich hierzulande in die festgefahrenen Diskurse einzumischen. Selber sind die Aktivist*innen des Vereins als Expert*innen in der Bundespressekonferenz gefragt und mischen sich medial in die Debatten ein.
So prangerte etwa Politologe Perabo in einem taz-Interview 2017 die Linke an, hier wie in ganz Europa, die im Rahmen der Friedensbewegung die Tatenlosigkeit des Westens als Erfolg feierte.
Kaum Grund zur Hoffnung
Konstantin Wecker zum Beispiel war einer der Erstunterzeichner*innen eines Aufrufes von Adopt a Revolution gemeinsam mit Medico International zur Unterstützung des zivilen Widerstandes in Syrien, zog seine Unterschrift aber zurück, als er bemerkte, „dass der Ausschluss jedes militärischen Eingreifens nicht ausdrücklich … erwähnt wurde“.
Die ebenfalls Mitunterzeichnenden Andrea Nahles, Claudia Roth oder Katja Kipping zogen ihre Unterschriften nicht zurück. Dafür bezeichnete die stellvertretende Linke-Fraktionsvorsitzende im Bundestag, Heike Hänsel, den Verein auf Twitter als „Helfershelfer einer USPR- Kampagne gegen Russlands Rolle in Syrien“.
Beim Blatt Junge Welt reichte es gar zum Titel „Politischer Dschihad-Arm des Tages“. Darüber kann Elias Perabo nur trocken lachen. Er kennt das Leid vor Ort und weiß, Grund zur Hoffnung für ein freies, demokratisches Syrien besteht kaum. Als er vor vier Jahren eine Aktivistin fragte, was gewinnen für sie hieße, sagte sie: „Es geht nur darum, wie hoch wir verlieren.“ Doch solange die Menschen in Syrien nicht aufgeben, wird das Adopt a Revolution auch nicht tun.
Erfolg & Horror
Selbst dann nicht, wenn Erfolg und Horror so nah beieinanderliegen wie bei einem Schulprojekt in der Ost- Ghouta: Dort missbrauchten extremistische Milizen Schulen zur Indoktrinierung der Jugend. Das wollten sich Aktivist*innen nicht gefallen lassen und gründeten mit Unterstützung von Adopt a Revolution und finanzieller Hilfe von medico International 2013 säkulare freie Schulen für Tausende Kinder.
Zum Schutz vor Fliegerbomben fand der Unterricht in ausgebauten Luftschutzkellern statt. 2017 forcierte das Regime die Belagerung der Region, doch den Kindern konnte trotzdem noch täglich eine vollwertige Mahlzeit ermöglicht und der Unterricht weitergeführt werden. Als Assads Armee und deren russische und iranische Verbündete schließlich 2018 zum intensiven Angriff übergingen, boten die Keller wochenlang Hunderten Familien Zuflucht – bis ein russischer Luftangriff mit bunkerbrechenden Bomben Dutzende Frauen und Kinder in den Tod riss.
Zur gleichen Zeit gelang der syrischen Demokratieaktivistin Ghayda die Flucht nach Berlin. Inzwischen hat sie sich Adopt a Revolution angeschlossen, um, wie sie sagt, jenen zu helfen, die in Syrien ausharren. Zwölf Projekten hilft der Verein derzeit, dreißig waren es Anfang 2018. Der dramatische Einbruch ist der Verschärfung der Situation in der Ost- Ghouta geschuldet.
Aktuell wird etwa ein Frauennetzwerk unterstützt, das sich mit Aufklärungskampagnen für Rechte von Mädchen einsetzt, denn zumindest der Theorie nach sind Kinderehen in Syrien nicht legal. In Krise und Krieg werden aber vermehrt junge Mädchen zur Existenzsicherung verheiratet.
Unterstützung wird benötigt
Und nötigenfalls hilft Adopt a Revolution auch beim Gang in den Untergrund, was gerade für Medienschaffende häufig die letzte und die einzige Lösung ist, schließlich endet die Verfolgung durch Assads Schergen nicht, wenn weniger Bomben aus russischen Fliegern fallen.
Dass das Bombardement etwas nachlässt, scheint im Westen ein unangebrachtes Gefühl der Beruhigung auszulösen, der Konflikt verschwindet aus den Schlagzeilen.
Doch die Zivilist*innen in Syrien benötigen weiterhin jede Unterstützung, wie Aktivistin Ghayda unterstreicht: „Selbst wenn Assad das ganze Land zurückerobert, heißt das noch lange nicht dass es Frieden gibt – dies scheint oft in Deutschland verwechselt zu werden. Noch immer sind Zehntausende Menschen im Gefängnis, Millionen vertrieben. Die Repression durch das Regime ist furchtbar wie nie. Solange das Assad-Regime an der Macht ist, bin ich zum Exil verdammt.“
Der Name des Vereins muss also mehr denn je als Appell verstanden werden: Adopt a revolution!