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Nominierte 2006

Nominierte 2006: Barbara Cybard Am Anfang standen Wut und Tränen

Die 47-jährige Barbara Cybard gründete gegen Widerstände einen Schlecker-Betriebsrat

Bild: Jonas Maron

Es begann mit einem Tränenausbruch. Nicht Barbara Cybard hatte geweint, sondern eine ältere Kollegin, die erst vor kurzem in ihre Schlecker-Filiale versetzt worden war: die Geschäftsleitung hatte ihr unterstellt, dass sie nicht korrekt abgerechnet hätte, angeblich fehlte Geld in der Kasse. Die Frau war völlig aufgelöst, und Barbara Cybard erstaunt - sie konnte sich einfach nicht vorstellen, dass die Kollegin zu einer Unterschlagung fähig wäre. Sie begann zu ahnen, dass da etwas anderes dahinter stecken könnte, die ältere Kollegin war gesundheitlich angeschlagen und nicht mehr so leistungsfähig. Wollte man sie einfach loswerden? Zu spät: Die von der Geschäftsleistung massiv unter Druck gesetzte Kollegin hatte in der Zwischenzeit einen Auflösungsvertrag unterschrieben, sie war ihre Anstellung los.

Das ging Barbara Cybard zu weit. Sie begann Bücher zu wälzen, forderte Broschüren an, informierte sich über Arbeitnehmerrechte. Und organisierte ein erstes Treffen mit Kolleginnen, bei sich zu Hause, im Keller ihres Reihenhauses in Kehl, nahe der französischen Grenze, Straßburg nur einen Katzensprung entfernt: Fast schon konspirativ. Alle hatten Angst, es war schwer, doch nach einem Anruf bei der Gewerkschaft Ver.di wurde dann doch beschlossen: Wir gründen einen Betriebsrat! Ganz egal, ob es der Geschäftsleitung nun passt oder nicht - Schlecker hatte zuvor jahrelang versucht, die Gründung von Betriebsräten zu verhindern. Doch Barbara Cybard war längst so sauer, dass sie darüber ihre Angst vergessen konnte, Kraft fand, die anderen zu motivieren: "Wir müssen jetzt alle zusammenhalten". Im Jahr 1999 war es dann soweit: Die erste Betriebsrat wurde offiziell vollzogen, damals war die Wahlbeteiligung noch relativ gering.

Die schlechten Arbeitsbedingungen beim Eindelhandelsriesen Schlecker sind legendär: Der Personalschlüssel ist katastrophal, in den Filialen gibt es kein Telefon, nicht einmal Kugelschreiber, Lagerbesen oder Arbeitsbesen werden gestellt (die taz berichtete ausführlich). Erstaunlich, dass die Verkäuferinnen trotz dieser Bedingungen noch freundlich sein können, doch Barbara Cybard kann erklären, warum: "Durch den Druck von außen halten alle zusammen, man bildet eine große Familie - das wirkt sich auf die Stimmung aus."

Mittlerweile ist Barbara Cybard längst freigestellte, hauptberufliche Schlecker-Betriebsrätin. Entspannt sitzt sie nach Feierabend im Garten, reicht Erdbeertorte und köstlichen Filterkaffee, sie hat es geschafft. "Nach der Wahl hatte ich keine Angst mehr, ich wusste ja, dass mir nichts mehr passieren kann", sagt sie selbstbewusst - ein Selbstbewusstsein, das sie sich gegen Widerstände erkämpft hat. Auch ihr hat man versucht, inkorrektes Verhalten nachzuweisen, erfolglos. "Früher haben sich unsere Angestellten viel zu leicht übertölpeln lassen, die meisten haben höchstens einen Hauptschulabschluss - da haben Akademiker aus der Geschäftsleitung unter Umständen leichtes Spiel". Barbara Cybard kennt ihre Rechte und lässt sich nichts mehr vormachen - eine Frau geht ihren Weg, allein gegen die Männer aus der Geschäftsleitung? "Die Managerinnen können viel schlimmer sein, Frauen sind untereinander oft gemein."

Nun hat sie ein eigenes Büro neben einer Schlecker-Filiale und kümmert sich, wenn die Angestellten Probleme haben. Auch die Wahlbeiteiligung bei den Betriebsratswahlen ist gestiegen. Im Moment gibt es allerhand Abmahnungen, weil Schlecker auf neue Verkaufsstrategien setzt, denen sich einige Mitarbeiter nicht gewachsen fühlen. Wenn ein Anruf kommt, setzt sich Barbara Cybard ins Auto und fährt hin, schaut nach. Sie kontrolliert die korrekte Einhaltung der Arbeitszeiten, sorgt dafür, dass die Angestellten ordnungsgemäß Urlaub machen können - und hat nun auch einen Sitz in der Großen Tarifkomission von Ver.di.

Eine Karriere, an deren Anfang ein Praktikum in einem Schreibwarengeschäft, später eine Ausbildung zur Einzelhandelskauffrau gestanden hatte. "Ich habe diesen Beruf immer gerne ausgeübt", sagt sie. "Vor meiner Freistellung hatte ich es schließlich auch zur Filialleiterin gebracht." Doch das ist nur ein Teil der Geschichte: Denn Mut hat Barbara Cybard schon viel früher bewiesen, damals, als sie im Alter von siebzehn Jahren im Streit von zu Hause ausgezogen war: Sie wollte nun einmal mit ihrem Freund zusammen sein und es war ihr ganz egal, dass ihrer Familie der "Ausländer", ein Franzose, nicht genehm war. Da hat sie lieber in der Fabrik in Baden Baden Akkord genäht, um sich einen eigenen Tisch leisten zu können, unter den sie ihre Füße stellt. "Man sagt, ich sei immer schon selbstbewusst und durchsetzungsfähig gewesen, mein Mann hat da vielleicht sogar manchmal gelitten, weil es immer hieß: Die hat die Hosen an!", sagt sie. Jedenfalls hat sie "ihren Franzosen" bekommen, und die Familie musste die geschaffenen Tatsachen irgendwann akzeptieren.

Auf ihre Art erinnert Barbara Cybard an die vor zwei Jahren im benachbarten Offenburg verstorbene, legendäre Verlegerin Aenne Burda: eine Frau, die sich nicht den Kaviar vom Canapee kratzen bzw. die Butter vom Brot nehmen lässt - die Betriebsrätin kommt aus einfachen Verhältnissen - geboren wurde sie in Wernigerode, kurz vor dem Mauerbau übersiedelte die Familie in die Bundesrepublik - weder Abitur noch Studium lagen für sie im Bereich des Möglichen. Doch ihre Kinder sollen es einmal besser haben, der Sohn studiert bereits, die Tochter plant einen Auslandsaufenthalt. Ihre Mutter hat ihnen beigebracht, selbstbewusst zu sein.

Barbara Cybards Karriere schlägt sich nicht materiell nieder, eine Betriebsrätin verdient nicht mehr als eine Filialleiterin, aber ein Erfolg ist es doch. Zu verdanken hat sie ihn ihrer Wut im Bauch und ihrem sicheren Gefühl für soziale Gerechtigkeit.

Martin Reichert