Nix läuft ohne Fahrradminister

■ Der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club fordert bundesweites Radfernwegenetz

Der Fahrradtourismus boomt ungebrochen. Unter allen Freizeitaktivitäten hat er die höchste Zuwachsrate, wie eine Studie des Hamburger B.A.T.-Freizeitforschungsinstituts ermittelt hat. Im Zweit- und Dritturlaub ist das Rad gar ein prominentes Hauptverkehrsmittel. Und das Potential ist noch lange nicht ausgereizt: Es gibt immer mehr Radwanderveranstalter (zur Zeit etwa 180 in Deutschland), immer mehr Radwanderführer (rund fünfzehn sind es allein im Donaugebiet), immer mehr Radkarten. Die Urlauber sind umwelt- und gesundheitsbewußter geworden, das Rad hat sein altes Image vom „Arme- Leute-Vehikel“ endgültig abgestreift. Es ist zum werbeträchtigen Fitneß- und Sportgerät mutiert.

Damit (sich) noch mehr Urlauber in Zukunft auf das Rad setzen, braucht es, so der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club (ADFC), „ein geeignetes, flächendeckendes und gut ausgebautes Radroutennetz“. Auf einer Veranstaltung der Internationalen Tourismusbörse (ITB), als Pressekonferenz getarnt, fordert der deutsche Lobbyist in allen Radlerbelangen vor allem Radfernwege, die er als „überregionale beschilderte Verbindungen mit hohem Qualitätsstandard“ definiert. Zwar gäbe es heute allein in Deutschland etwa 120 Radfernwege mit einer Gesamtlänge von über 12.000 Kilometern, räumte Wolfgang Reiche vom ADFC ein (1984 waren es erst acht), doch seien die Wege weder einheitlich ausgeschildert, kaum miteinander vernetzt und nicht zuletzt zu wenig vermarktet.

Viele Radler verbringen nach Reiches Angaben inzwischen ihren gesamten Urlaub auf dem Sattel und „wollen Deutschland großflächig kennenlernen“. Doch was erwartet sie auf der Tour? Ein Tohuwabohu aus Täfelchen, Punkten, Symbolen und Zahlen: Jede Gemeinde zimmert sich nämlich eigene Schildchen. Eine bundeseinheitliche Ausschilderung gibt es nicht. Und jede Region denkt sich etwas eigenes aus. Von wegen Vernetzung von Radrouten – eine ordentliche Route endet an der Kreisgrenze!

Radtouristische Produkte müßten aktiver vermarktet werden, meint Reiche. Wie man es macht, beweist das Beispiel Donauradweg nachhaltig: Jedes Jahr fahren rund 120.000 Radler von Passau bis nach Wien. Inzwischen lebt die Hälfte der Donauwirte ganz ordentlich vom guten Appetit der Pedaltreter. Allerdings dürften aber halbfertige Radwege auch nicht vorschnell vermarktet werden, fordert Reiche. Negativbeispiele seien die Flußradwege an Elbe und der Saale. Es existieren bisher nur kleine Teilstücke, die Karten sind noch nicht komplett, die Ausschilderungen noch mangelhaft. Die Radler seien vielfach frustriert, so der ADFC, und da viel über Mundpropaganda laufe, würden andere Radlerfreunde nur abgeschreckt.

Doch daß es auch besser geht, zeigt ein Blick über die Grenzen. Das platte Dänemark hat schon seit einigen Jahren ein funktionierendes Radroutennetz. Der ADFC-Wunsch, daß jeder Radler ein vernetztes System benutzen und so seine individuelle Route zusammenstellen kann, je nach Lust und Laune eine kleine, mittlere oder größere Runde dreht, ist in Dänemark bereits eingelöst. Selbst in der so hügelreichen Schweiz ist ein großflächiges Radwandernetz in Planung. Deutschland jedoch radelt hinterher: Im föderalen Staate enden die Planungen bisher an den Landesgrenzen. Aber immerhin hat ausgerechnet das bettelarme Mecklenburg-Vorpommern, um die Förderung des Radtourismus als umwelt- und sozialverträgliche Tourismusform bemüht, seit 1990 über 100 Millionen Mark investiert, um elf Radwanderwege mit mehr als 1.500 Kilometern auszubauen oder neu zu bauen. Und auch das Bundesland Hessen ist dabei, acht Radwege zu planen.

Aber das Ziel des ADFC, ein bundesweites Radfernwegenetz zu schaffen, liegt noch in weiter Ferne. Und auch die Forderung an die Bundesregierung, dafür eine „bundesweite Koordinierungsstelle“ zu installieren, verhallt bisher ungehört. Eine solche Koordinierungsstelle müsse sinnvolle Kriterien für die Routenführung, gemeinsame Standards für die Bauausführung und eine einheitliche Beschilderung erarbeiten.

Seit 1979 versucht der Radler- Interessenverband vergeblich, den politisch Verantwortlichen in dieser Richtung Beine zu machen. Doch außer unverbindlichen Kontakten zum Wirtschafts- und Finanzministerium rollte bisher noch gar nichts. Und auch der Fremdenverkehrsausschuß des Deutschen Bundestages, der sich im letzten Jahr dem Radtourismus angenommen hat, sieht „keine großen Bundesaktivitäten“, sagt Thomas Froitzheim vom ADFC. „Politisch verantwortlich“, so der Fachmann, „ist niemand.“ Solange es noch keinen Fahrradminister gibt, wird es schwer sein, die politisch auto- ritären Entscheidungsträger in Bonn von den Vorzügen eines fahrrad-nahen Tourismus zu überzeugen. Günter Ermlich