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Niedrigere Mindeststandards an HauptschulenKultusminister für dümmere Schüler

Die Kultusminister wollen die Bildungsstandards für den Hauptschulabschluss senken. Die Wirtschaft stellt aber immer höhere Anforderungen an ihre Auszubildenden.

Die Wirtschaft braucht Nachwuchs, der in der Schule die Basics gelernt hat. Bild: dpa

Zum Beispiel der Automechaniker: früher ein Schrauber und Bastler, der mit Werkzeugen hantierte. "Heute steht nicht mehr der Ölwechsel im Vordergrund, sondern der Umgang mit Datenbanken und Messgeräten", erläutert Friedrich Hubert Esser vom Zentralverband des Deutschen Handwerks. Er leitete die Abteilung berufliche Bildung. Den klassischen Kfz-Mechaniker gebe es nicht mehr, der Ausbildungsberuf heiße MechatronikerIn, eine Kombination aus MechanikerIn und ElektronikerIn.

"Es heißt ja, jeder Mittelklassewagen habe heute mehr Elektronik an Bord als seinerzeit die Mondlandefähre Apollo 11", meint Esser. Die Anforderungen an die Ausbildung seien dementsprechend gestiegen. Angesichts sinkender Schulabgängerzahlen müsste die Qualität der AbsolventInnen daher gesteigert werden, auch in der Hauptschule, fordert er im Namen des Handwerks.

Die Verantwortlichen für die schulische Bildung, die KultusministerInnen, planten das Gegenteil. Sie wollten HauptschülerInnen von den allgemeinen Bildungsstandards abkoppeln, was heftige Proteste auslöste. Auf ihrer Konferenz am Donnerstag ruderten sie zurück: "Das Anspruchsniveau der Bildungsstandards auf denen die Tests beruhen, wird nicht verändert", vermeldeten sie am Abend.

Anlass für die Überlegungen der Kultusminister waren Warnungen des Instituts für Qualitätsentwicklung im Bildungswesen, das die Standards überprüft. Jeder vierte Hauptschüler könnte das Mindestniveau in Englisch und Rechnen verfehlen, warnten die ForscherInnen. Daraufhin entstand die Idee, einfach die Standards zu senken.

Die Wirtschaft reagierte daraufhin alarmiert: "Wir verstehen diese Fächerstandards als Grundvoraussetzungen für eine Ausbildung", sagt Berit Heintz, Bildungsfachfrau beim Deutschen Industrie und Handelskammertag (DIHK). Sie abzusenken hieße, die Chancen für Hauptschüler zu senken.

Um diese steht es sowieso nicht gut. In ihrem nationalen Bildungsbericht dokumentierten die Kultusminister im Sommer, dass nur noch 40 Prozent der rund 240.000 HauptschulabsolventInnen direkt nach der Schule eine Lehrstelle findet. Im industriell-technischen Bereich etwa, früher ein klassisches Berufsfeld für HauptschülerInnen, war im vergangenen Jahr nur jeder fünfte neue Azubi Absolvent dieser Schulform. Das zeigen Statistiken des DIHK.

Die Schuld für die geringen Chancen sieht die Wirtschaft bei den Hauptschülern selbst. "Die Unternehmen klagen, dass die Bewerber keine ausreichenden Grundkenntnisse mitbringen", berichtet Heintz. Sie verweist auf eine Langzeitbeobachtung des Chemiekonzerns BASF.

Seit 1975 zeigt sich ein kontinuierlicher Abwärtstrend bei den Ergebnissen der Eingangstests für Ausbildungsbewerber. Lösten im Jahre 1975 noch drei Viertel der HauptschülerInnen die gestellten Rechenaufgaben korrekt, war es 29 Jahre später nur noch die Hälfte. Den Rechtschreibtest bestand noch ein Drittel der Hauptschüler.

In Mathematik erwarten Unternehmen von ihren BewerberInnen, dass diese neben Grundrechenarten auch den Dreisatz beherrschen, mit Dezimalzahlen umgehen und Flächen berechnen können. Neben Defiziten in diesen Feldern würde es den Jugendlichen oft auch an sozialen Kompetenzen mangeln, berichtet Heintz. So scheiterten viele bereits daran, Sprache "situationsgerecht" anzuwenden, das heißt, sich im Betrieb anders auszudrücken als etwa in der Schule. "Wenn Hauptschüler diese Basics beherrschen, dann wäre ihnen schon sehr geholfen."

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1 Kommentar

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  • A
    anke

    Die Wirtschaft will Qualität, die Schüler wollen Ferien. Die, die dafür sorgen sollen, dass beide zusammenkommen, möchten die Standards absenken, mit denen gemessen werden kann, ob sie ihrer Verantwortung (von gestern) gerecht werden. Mit anderen Worten: Die Kultusminister kapitulieren als erste. Eigentlich wäre ja zu erwarten gewesen, dass einer der überforderten Schüler den Vorschlag unterbreitet: "Ich kann das nicht, also fragt mich nicht mehr danach!" Die Hauptschüler aber haben nichts zu sagen. Sie sind nämlich in der Regel noch unmündig und wissen nicht, was gut ist für sie und alle anderen. Wenn allerdings das Verhalten der mündigen, gebildeten Kultusminister Schule macht, kann man auf ein öffentliches Bildungswesen (und überhaupt alle öffentlichen Sektoren) womöglich bald ganz verzichten. Wo sich Führende und Geführte nämlich einig sind in der Annahme, dass ohnehin keine Hoffnung besteht, erübrigt sich jeder zusätzliche Euro, jedes weitere Wort und überhaupt jedes Engagement.