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Niedersachsens Spitzenkandidat über Piraten„Wir sind ein Team“

Niedersachsens Piratenpartei hat endlich einen Spitzenkandidaten. Meinhart Ramaswamy über Demokratie, Anthroposophie und Technik.

„Denke schon, dass es diesmal dabei bleibt“ – Meinhart Ramaswamy. Bild: dpa
Interview von Benno Schirrmeister

taz: Herr Ramaswamy, herzlichen Glückwunsch zu Ihrem Sieg. Bleiben Sie denn diesmal auch Spitzenkandidat?

Meinhart Ramaswamy: Oh, danke der Nachfrage. Ja, ich denke schon, dass es diesmal dabei bleibt: Es ist ja auch eine Bestätigung des Parteitags von Nienburg. Und ich glaube, wir haben es diesmal so gemacht, dass Anfechtungen ins Leere laufen.

Die gibt es aber wieder?

Bislang habe ich noch nichts gehört. Wir haben unser Verfahren vorab durch Anwälte prüfen lassen, damit wir nicht an Formfehlern scheitern.

Ist das nicht extrem frustrierend, wenn eine Partei, die antritt, die Demokratie zu erneuern, sich bei der einfachen Übung blamiert, eine Liste aufzustellen?

Meinhart Ramaswamy

59, Dr. phil., ist seit drei Jahren Schatzmeister der niedersächsischen Piraten.

Studium der Kultur- und Sozialwissenschaften, Promotion 1977 an der Uni Göttingen. Ende der 1980er Zweitstudium am Wittener Institut für Waldorf-Pädagogik.

War schon Lehrer sowie IHK-Ausbilder, ist derzeit freiberuflicher Uni-Dozent und Werbegrafiker.

Der Vater einer neunköpfigen Familie lebt in Göttingen.

Eine so leichte Übung ist das nicht, wenn man es basisdemokratisch organisieren will. Wenn Schlangen von bis zu 300 Leuten vor den Akkrediteuren stehen, kann es auch mal zu einer Panne kommen. Diesmal haben wir jeden Ausweis kontrolliert, alle Adressen überprüft – das macht so keine andere Partei. Nur da ficht eben auch keiner an.

Erleichtert Ihr knapper Vorsprung an Stimmen Ihre Aufgabe als Spitzenkandidat?

Ich bin erst mal froh, dass der Parteitag eine Reihenfolge geklärt hat – weil wir die brauchten. Die einzelnen Ergebnisse sind für uns nicht so wichtig, weil wir uns als Team verstehen.

Das ist immer schlau, das nachträglich so zu deklarieren…

Der Weg zur Liste

Der Landesparteitag (LPT) der Niedersachsen-Piraten am Sonntag war der vierte 2012: Schon am 4. / 5. 2. traf man sich in Osnabrück, um durch Wiederwahl des Vorstand "die Weichen für eine erfolgreiche Landtagswahl" zu stellen.

Die 1. Aufstellungsversammlung am 21. / 22. 4. in Nienburg verabschiedete eine Liste.

Am 14. 6. hob das Landesschiedsgericht die Wahl infolge einer Anfechtung auf.

Die 2. Aufstellungsversammlung am 21. / 22. 7. in Wolfenbüttel erbrachte einen Pool von 30 Kandidierenden.

Der Delmenhorster LPT hat nun deren Reihenfolge bestimmt: Auf Ramaswamy und Katharina Nocun folgen Christian Koch, Christian Peper und Mario Espenschied.

Der 10. LPT berät im Oktober über das Wahlprogramm.

Das haben wir von Anfang an signalisiert, auch vor der Wahl: Schon in Nienburg hatten Chris Koch und ich das gesagt – und jetzt auch in den Kurzvorstellungen noch einmal: Wir sind ein Team, und zwar nicht nur das Dreierteam von Katharina Nocun, Chris und mir, das ja sehr nah beieinander ist, sondern diese ganze erste Gruppe, die gewählt worden ist, die sogenannten „sicheren Kandidaten“. Wir wollen das gemeinsam stemmen – und werden auch viele Termine zusammen wahrnehmen.

Um nach einem halben Jahr parteiinternem Streit nun besonders harmonisch zu wirken?

Wenn Sie unter Dauerstreit verstehen, dass zehn Leute großen Ehrgeiz entwickeln, alles zu torpedieren, stimmt Ihre Darstellung – aber nur dann: Unter den Kandidaten gab es keinen Dissens. Und auch in sich ist die Partei recht geschlossen: Es sind ja fast dieselben Leute wieder gewählt worden wie im Frühjahr.

Wobei es überraschend wirkt, dass Sie bei den technikbegeisterten Piraten so gut ankommen – obwohl Sie doch aus der Anthroposophen-Ecke stammen…

Das ist kein Widerspruch: Rudolf Steiner hat gesagt, dass der richtige Anthroposoph zeitgemäß sein muss. Und IT-Technik gehört nun mal zu dieser Zeit ganz eindeutig dazu.

Zweifellos.

Ich besitze seit 1984 einen PC, ich habe 1986 angefangen, mit Akustik-Koppler das Internet zu benutzen. Das heißt: Da gibt’s keine Distanz. Es ist halt ein Instrument, genauso wie ein Auto oder ein Kuli.

Im Grunde liest sich das trotzdem wie eine klassische Grünen-Vita.

Ja, das könnte man sagen.

Ist es aber nicht geworden.

Ich bin mal von einem Journalisten gefragt worden: Erschreckt Sie die Entwicklung der Grünen? Da habe ich nur ganz knapp geantwortet: Ja.

Interessant wäre aber zu wissen, warum?

Weil sie eigentlich von allen basisdemokratischen Ideen Abstand genommen haben. Ich erlebe die Grünen – zum Beispiel hier im Stadtrat – oft so, dass sie im Gespräch ganz andere Positionen vertreten als bei den Abstimmungen. Da heißt es dann: Jaja, es ist wirklich unmöglich, den kulturellen oder sozialen Einrichtungen Geld wegzunehmen. Es wird dann aber doch zugestimmt, angeblich, weil es keine andere Möglichkeit gibt. Oder die Frist beim Atomausstieg – die hätte viel kürzer sein müssen. Dass die Grünen dazu Ja gesagt haben, finde ich enttäuschend – und erschreckend, dass so etwas stets mit einer vermeintlichen Alternativlosigkeit begründet wird. In der Politik gibt es immer Alternativen. Um das klarzumachen, dafür gibt es die Piraten.

Bloß: Was wollen Sie auf Länderebene bewirken?

Ich persönlich bin ein großer Anhänger von dezentralen Strukturen: Ich habe mich bewusst nicht auf eine Liste für die Bundestagswahl beworben, weil ich denke, dass man in der Landespolitik ein ganzes Stück näher an den Menschen dran ist, um die es geht. Und innere Sicherheit, die sozialen Gegebenheiten oder Bildungspolitik, das sind alles Themen, die kann ich mindestens gut vorbereiten und stützen im Lande.

Gerade in der Schulpolitik rudern Sie radikal gegen den Trend, wenn Sie Schulen die Entscheidung über die Lehrpläne übergeben wollen.

Das ist richtig: Uns geht es um freie Gestaltung der pädagogischen Methodik und Inhalte. Das ist so.

Aber alle klagen über den bildungspolitischen Flickenteppich Deutschland! Ist das eine kluge Idee?

Ja, die ist klug – und ich kann darüber ganz gut sprechen, weil ich als Lehrer und Dozent Erfahrung in allen Bereichen und Schulformen des deutschen Bildungssystems habe, bis hin zur Erwachsenenbildung – und durch meine Kinder auch die andere Seite kenne. Das, was jetzt Flickenteppich heißt, kann man auch Vielfalt nennen, und das hat uns lange Zeit überhaupt nicht geschadet.

Na ja, aber die Vergleiche…

Nein, Deutschland hat jede Menge Nobelpreisträger hervorgebracht, obwohl die nicht die gleiche Abi-Arbeit geschrieben und in der siebten Klasse alle dasselbe Buch gelesen haben. Daran wird Kreativität nicht entschieden. Ich erlebe an meinen Kindern, dass alles immer verschulter wird, dass das Auswendiglernen irgendwelcher Inhalte, die der Lehrer gerade gerne hören will, der beste Weg zu guten Noten ist. Ich bin unter anderem deswegen in die Politik gegangen, weil ich auf meine Generation total sauer bin.

Inwiefern?

Wir haben damals genau den gegenteiligen Trend erlebt. Wir haben unter besten Bedingungen frei lernen können, und unsere Inhalte selbst bestimmen – und genau die Leute, die das erlebt haben, verbrennen jetzt die Generation meiner Kinder, indem sie nur Druck aufbauen, der nur noch dazu führt, dass gemacht wird, was gang und gäbe ist. Da sind wir auf dem Holzweg.

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1 Kommentar

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    Avanti Dilettanti

    "Uns geht es um freie Gestaltung der pädagogischen Methodik und Inhalte. (...) Das, was jetzt Flickenteppich heißt, kann man auch Vielfalt nennen."

     

    Wenn jede Schule macht, was sie will, wird man nicht mal mehr innerhalb einer Stadt die Schule wechseln können - geschweige denn zwischen Bundesländern. Die Unterschiede zwischen bestens versorgten Privatschulen mit Förderverein und allem pipapo auf der einen Seite und siechenden Restschulen auf der anderen Seite dürften dann noch zunehmen. Au weia!

     

    Dann doch lieber die Grünen, auch wenn die in Hamburg für ihre Schulpolitik eins auf die Mütze bekommen haben. Zumindest sind das keine Dilettanten...