: Nicolae Ceausescu blockt alle Reformen ab
■ Rumänisch–sowjetische Beziehungen sind in der Ära Gorbatschows auf einem Tiefpunkt angelangt / Ceausescu verhinderte den Abdruck von Gorbatschow–Reden in der rumänischen Presse / Wegen der Wirtschaftskrise ist das Land aber auf sowjetische Hilfe angewiesen / Hoffnungen der Rumänen auf Gorbatschow wären verfrüht
Von Johanna Freund
Ganz Bukarest ist eine einzige Baustelle, seit Staats– und Parteichef Nicolae Ceausescu beschlossen hat, sich mit dem Boulevard „Sieg des Sozialismus“ ein eigenes Denkmal zu setzen. Ohne Rücksicht auf die Bewohner wurden die schönen alten Häuser eines ganzen Stadtteils der Innenstadt abgerissen und durch Neubauten ersetzt. Doch auch diese ließ der Führer wieder schleifen, weil sie ihm nicht mehr gefielen. Die aufgerissenen Straßen blieben auch Michail Gorbatschow bei seinem Besuch im Mai 1987 nicht verborgen. „Wir dachten, daß nur wir umbauen, aber es scheint, alle bauen um“, witzelte er mit doppeldeutiger Ironie bei seinem Besuch im Mai 1987 vor den Spalier stehenden Rumänen. „Man darf nie stehenbleiben. Ich hoffe aber, daß die historische Architektur erhalten bleibt. In Moskau gelang es uns nicht, und nun tut es uns leid,“ soll er laut Regierungszeitung Iswestija vom 27.5.87 dem rumänischen Diktator noch gesagt haben. Dieser konterte auf seine Art. In einer Ansprache vor den ausgewählten Werktätigen wies er Gorbatschows Einmischung entschieden zurück. Zwar traute er sich nicht mehr - wie noch im Februar - offen gegen Gorbatschow aufzutreten. Damals hatte er nach dessen ZK–Rede zur Reform dem Exekutivkomitee seiner Partei erklärt, von einer sozialistischen Wirtschaft könne nicht mehr die Rede sein, wenn die Produktionsmittel nicht vergesellschaftet blie ben. Das Auftreten von kleinen Privatbesitzern führe nur zu Ungleichheit und Ausbeutung. Freiräume für die Betriebe seien abzulehnen. Rumänien habe bereits vor zwanzig Jahren demokratische Leitungsorgane eingeführt und diese laufend „perfektioniert“. Unter der Leitung der Partei schreite das rumänische Volk auf dem Wege zur Unabhängigkeit, zum Wohlstand und zum Glück stetig voran, ließ er in der Parteizeitung Scinteia Ende Mai verkünden, die dagegen auf Gorbatschows Reden verspätet oder überhaupt nicht reagiert. Mißlungene Entstalinisierung Ceausescus Widerstand gegen Gorbatschow nur aus seinem Reformunwillen zu erklären, griffe jedoch zu kurz. Schon zu Beginn der sechziger Jahre versuchte die rumänische Führung, außenpolitischen Spielraum zu gewinnen, und setzte sich von Moskau ab, obwohl die Partei vorher bedingungslos der Linie Moskaus folgte. Noch 1944 hatte die Partei kaum tausend Mitglieder gehabt und verdankte ihre starke Stellung nach der Befreiung Rumäniens durch die Rote Armee allein der sowjetischen Truppenpräsenz. Erst nachdem man die bürgerlichen Parteien verboten und die Sozialdemokratie mit den Kommunisten zwangsvereinigt hatte, konnte die „Arbeiterpartei“ 1947 die Macht übernehmen. Nach Stalins Tod 1953 gab es zwar auch in Rumänien eine Amnestie für politische Häftlinge, aber keine Ent stalinisierung. Denn während des Aufstands in Ungarn war es bis auf ein paar Studentenproteste ruhig geblieben, so daß die alte Führung unter dem weiterhin autoritär regierenden Gheorghiu–Dej unerschüttert blieb. Die Sowjetunion zog 1957 ihre Truppen sogar ab. Erst als 1961 Chruschtschow im Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) eine Arbeitsteilung durchsetzte, in der Rumänien nur als Agrarland vorgesehen war, kam es zu ernsthaften Meinungsverschiedenheiten mit Moskau. Mit dem Plan des sowjetischen Professors Valev, wonach die Agrarkomplexe der Moldauischen SSR, Nordostrumäniens und Bulgariens zusammengeschlossen werden sollten, fürchtete die rumänische Regierung um die staatliche Integrität ihres Territoriums. Man begann, die „nationale Souveränität“ gegen die Moskauer Pläne zu verteidigen. Zum ersten Mal merkte die Parteiführung auch, daß die nun hoffähig gewordenen nationalistischen Töne bei der Bevölkerung ankamen. Sie bemühte sich, alle „Fehler“ der Vergangenheit wie Schauprozesse und Zwangskollektivierung auf den sowjetischen Einfluß abzuwälzen und ging soweit, die von der Sowjetunion 1940 durchgeführte Okkupation Bessarabiens zu kritisieren. Ceausescu rehabilitierte sogar 1968 die vielen in der Sowjetunion bei den stalinistischen Säuberungen 1937/38 umgekommenen Kommunisten Rumäniens. Von der Bevölkerung und auch in der westlichen Öffentlichkeit wurde diese Entwicklung als Entstalinisie rungsprozeß mißverstanden, zumal Ceausescu mit der Abschaffung der Zensur und dem demonstrativen Besuch Dubceks kurz vor der sowjetischen Intervention in der CSSR 1968 weitere Illusionen weckte. Industrialisierungs– programme Wie sich später herausstellte, ging es ihm aber nur darum, gegenüber der Sowjetunion einen eigenständigen nationalen Kurs durchzusetzen und damit auch die eigene Machtposition im Inneren auszubauen. Mit der Einführung der Kaderrotation, die Ceausescu als Mittel zur Bekämpfung der Bürokratie ausgab, schaffte er sich ganze Seilschaften lästiger Rivalen vom Hals. So gelang es ihm, alle wichtigen Posten mit eigenen Gefolgsleuten und Mitgliedern seiner Familie zu besetzen. Als erstes Ostblockland hatte Rumänien 1967 mit der Bundesrepublik diplomatische Beziehungen aufgenommen - Ceausescu wurde in der Folgezeit mit westlichen Krediten und Meistbegünstigungsklauseln überhäuft. Industrieanlagen, die die Sowjetunion nur widerwillig geliefert hatte, wurden nun aus Westeuropa bezogen, vor allem für die Petrochemie. Der Traum, deren Fertigprodukte in den Westen zu verkaufen, konnte solange aufrechterhalten werden, wie noch die eigenen Quellen sprudelten und aus dem Iran billig Rohöl zu beziehen war. Nach dem steilen Ölpreisanstieg in den siebziger Jahren und dem Sturz des Schahs erwies sich das ehrgeizige Industrialisierungsprogramm als Fehlinvestition. Mit einem radikalen Kurswechsel versuchte Ceausescu Anfang der achtziger Jahre, die Auslandsschulden loszuwerden. Durch Sparen und Konsumverzicht wird der Lebenstandard der Bevölkerung gedrückt. Traurige Berühmtheit erlangen nun die j im Land. Die Schimäre Gorbatschow „Bisher war es doch oft so“, erklärte Rumänien–Besucher Gorbatschow laut Prawda den verdutzten Arbeitern einer Maschinenfabrik „von der Produktion wählte man das aus, was in den Westen geht, um Devisen zu bekommen. Und untereinander verschob man, was schlecht ist. Stärkt man so den Sozialismus? Kann man mit Produktion von schlechter Qualität auf niedrigem technologischen Stand die Produktivität der Arbeit erhöhen? Und wie sollen wir so den Kapitalismus überholen, mit ihm konkurrieren? Diese Beziehungen müssen verändert werden.“ Und die Sowjetunion will damit gleich beginnen. Gorbatschow kündigte in Bukarest an, daß die Sowjetunion in diesem Jahr das Dreifache der bisherigen Energiemenge nach Rumänien liefern werde. Damit scheint das Abenteuer Westbindung für Rumänien auf absehbare Zeit vorbei zu sein. Die Sowjetunion ist nun die einzige Macht, die Rumänien aus dem Gröbsten heraushelfen kann. Der rumänische Parteichef hat den außenpolitischen Spielraum verloren, mit dem er über Jahrzehnte hinweg seine Herrschaft im Inneren sichern konnte. Daß aber Gorbatschow auf eine Ablösung des Parteichefs drängen würde, ist bisher nicht sichtbar. Ceausescu hat mit seiner Politik dafür gesorgt, daß es keine andere Fraktion im Apparat mehr gibt, die ihm gefährlich und von Gorbatschow benutzt werden könnte. Eher scheint sich auch im Falle Rumäniens zu erweisen, daß die sowjetische Führung die Stabilität in ihrem osteuropäischen Machtbereich unkalkulierbaren eruptiven Entwicklungen vorzieht. Noch dürfen die Rumänen keine Hoffnung schöpfen.
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