Nichtsänger Udo Lindenberg: Die nuschelnde Nachtigall
Die Wiederauferstehung des Panik-Panthers: Udo Lindenberg ist zurück - und erfolgreicher als je zuvor. Junge Musiker feiern den Altstar, obwohl er nicht singen kann. Warum eigentlich?
![](https://taz.de/picture/393581/14/lindenberg_02.jpg)
Er grummelt. Er nuschelt. Er murmelt, meckert und mosert. Manchmal grunzt er auch. Nur singen, nein, singen tut er nicht. Udo Lindenberg ist der erfolgreichste nicht singende Sänger der deutschen Popgeschichte. Wie ist er das bloß geworden?
Anfang April kletterte sein neues Album "Stark wie zwei" an die Spitze der deutschen Charts. Von dort oben, und das war dann doch eine Überraschung, konnte Lindenberg zum ersten Mal in vierzig Jahren Karriere den Blick genießen. Wer hätte das vermutet? Bisher war keines seiner Alben eine Nummer eins.
Zu lange ist Lindenberg schon Teil des bundesdeutschen Fundus. Längst ist er zur ikonografischen Erscheinung geworden. Der dünne Mann mit dem Schlapphut, der Sonnenbrille und der undeutlichen Aussprache. Sein jüngster Erfolg: eine Genugtuung für einen, der immer polarisierte und nie an mangelndem Selbstbewusstsein litt. Späte Anerkennung für einen, der so einflussreich war wie kaum ein anderer deutscher Musiker.
In den frühen Siebzigerjahren leistete Lindenberg Erstaunliches. Im Alleingang wies er nach, dass die deutsche Sprache zur Verwendung im Popkontext taugt. So hat Lindenberg seine Spuren hinterlassen. Nicht nur, weil er 1970 bei der legendären "Tatort"-Melodie Schlagzeug spielte. Nicht nur, weil er ein Kapitel deutsch-deutscher Geschichte schrieb, als er 1983 Erich Honecker mit "Sonderzug nach Pankow" einen Liebesgruß in die DDR schickte und den Staatsratvorsitzenden zu einem Konzert überredete.
Sondern, weil die sprachlichen Innovationen des ehemaligen Krautrock- und Jazz-Trommler bleibenden Eindruck auf die deutsche Populärkultur machten. Er reimte ohne Sinn, aber mit Humor. Er versteckte sich nicht hinter Kitsch, sondern berichtete aus dem Alltag. Er übersetzte die in den Siebzigern grassierende Jugendsprache in Songtexte. In einer Zeit, in der hierzulande nur schnulzige Schlagersänger wagten, sich in Deutsch auszudrücken.
Doch wer konnte damit rechnen, dass der bekennende Kokser so alt werden sollte? Im Laufe der Jahre wurde aus dem Innovator ein seltsamer Kauz. Geringe Verkaufszahlen, wenige Schallplattenveröffentlichungen, schütteres Haar. Die Auftritte in der Boulevardpresse wurden immer wichtiger, die Musik geriet ihm zur Nebensache. Er versuchte sich mit erstaunlichem kommerziellen Erfolg als Maler, überstand 1989 einen Herzinfarkt, bekam das Bundesverdienstkreuz und einen Walk-of-Fame-Stern auf der Reeperbahn. Der Platz vor dem Pop-Museum seiner Heimatstadt Gronau trägt seinen Namen. Im Haus der Geschichte in Bonn wurde Lindenberg per Ausstellung endgültig musealisiert.
Lindenberg war ein Denkmal geworden, ein bröselndes Relikt aus vergangenen Tagen. Bald wusste die Republik zwar flächendeckend, dass er sich keine eigene Wohnung leisten mag, sondern lieber in Hotels residiert. Doch dass der Mann dem deutschsprachigen Pop aus den Windeln heraus geholfen hatte, war in Vergessenheit geraten.
Nicht aber bei den Musikergenerationen, die ihm nachfolgten. Vor allem Jan Delay outete sich als Fan von Kindesbeinen an und wurde nicht müde, Lindenbergs Errungenschaften zu loben. Für das neue Album durfte Delay seinem Idol einen Song schreiben und gleich im Duett mit ihm einsingen. Auch andere aktuelle deutsche Stars huldigen auf "Stark wie Zwei" dem "dienstältesten deutschen Popstar" (Spiegel), der heute immer noch die dünnen Lederkrawatten aus den Achtzigern trägt. Helge Schneider ist ebenso dabei wie die Bautzener Nachwuchsrockband Silbermond. Die beweist so, dass Udo auch im Osten nicht ohne Wirkung blieb. Doch sie alle tragen weniger etwas bei, als dass sie ihre Referenz erweisen.
Denn eines ist klar: Lindenberg, der offensichtlich längst mit der von ihm entworfenen Kunstfigur deckungsgleich geworden ist, bleibt in erster Linie Lindenberg. Erwartungsgemäß hat das Album auch keine musikalischen Innovationen anzubieten und wankt zwischen müden Rocknummern und bedrohlich nah am Schlager gebauten Balladen. Immerhin verzichtet Produzent Andreas Herbig, der mit Culcha Candela und Ich+Ich reüssierte, darauf, aus Lindenberg etwas anderes zu machen, als er ist. Aber nichts könnte Lindenberg wohl weniger berühren als solche Einschätzungen. "Ich mach mein Ding, egal was die anderen labern", singt er auf der neuen Platte. Es geht darum, sich treu zu bleiben, den eigenen Lebensentwurf gegen die überall lauernden "Schwachmaten" zu verteidigen, die "Uns Udo" nur an die Wäsche wollen. Sehen wir den Tatsachen ins Auge: Es ging bei Lindenberg, dem ewigen Rebellen, tatsächlich niemals um etwas anderes. Das Nuscheln, sein Markenzeichen, ist Teil dieser Grundhaltung. Er selbst nennt sich "Nachtigall". Man muss nur lange genug dran glauben. Dann kann man es hören.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Denkwürdige Sicherheitskonferenz
Europa braucht jetzt Alternativen zu den USA
„Edgy sein“ im Wahlkampf
Wenn eine Wahl als Tanz am Abgrund verkauft wird
Tabubruch der CDU
Einst eine Partei mit Werten
+++ Nachrichten zur Ukraine +++
Gespräche bei der Sicherheitskonferenz
Verlierer der Wahlrechtsreform
Siegerin muss draußen bleiben
Nach der Sicherheitskonferenz
Expressverbindung von München nach Paris