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■ Nichtdeutsche Deutsche ohne deutschen PaßIm Herzen ein getürkter Italiener

Wäre ich ein Mitglied der Mafia, ich hätte in der Bundesrepublik Deutschland die perfekte Tarnung gefunden. Student in Mainz, ab und an als Journalist unterwegs, kastanienbraune bis dunkelblonde Haare, charmant-vertrauenserweckendes Auftreten, für Sizilianer eine überdurchschnittlich große Statur, in der Sprache keine einzige italienische Betonung. Und die Kleidung ist adrett bis bürgerlich: nichts Besonderes, aber auch nichts typisch Germanisches.

Gewöhnlich gehe ich bei den meisten als Deutscher durch, der irgendwoher ist, nur nicht aus Frankfurt. Der Stadt, in der ich seit nunmehr 18 Jahre lebe. Mir fehlt einfach die „frankforterischee“ Atemtechnik, ansonsten bin ich durch und durch normal; ein Frankfurter allemal.

Gerate ich mit Deutschen zusammen, merken die erst, daß ich aus Italien komme, wenn ich mich nach Rosa-von-Praunheim-Manier selber oute. Die Dialoge hören sich dann ein ums andere Mal so an: „Ach was, das hätte ich aber nicht gedacht! Woher bist Du denn?“ Ich will für meine Antwort etwas ausholen, merke aber sofort, daß mein Gegenüber nur an maximal einem Satz interessiert ist. Ich sage: „Geboren wurde ich im Nordosten Siziliens in einem kleinen Ort im Provinzgebiet um die Hafenstadt Messina. Der Ort heißt Tortorici. Die Gegend gehört zur einzigen grünen Lunge der Insel. Von dort wollten meine Eltern eigentlich nicht...“ Und so weiter und so fort. Ich breche ab, wenn die Reaktion die immergleiche Grimasse ist: Mein deutscher Gesprächspartner bewegt seine Mundwinkel nach oben, öffnet seine Augenlider, als hätte er gerade eine wundersame Erscheinung der dritten Art erblickt, dann fällt wie aus der Pistole geschossen die Frage, von der er glaubt, sie sei der witzigste Einfall, den ich je gehört habe: „Mafia-Mitglied, was?“ Ha, ha, ha. Sitzen andere dabei, lachen sie mit. Ich ziehe meine Mundwinkel zusammen, runzle meine Stirn und zeige, was ich davon halte: nichts!

Am meisten Spaß macht es mir aber, wenn vorher über Ausländer etwas despektierlich hergezogen wurde. Plötzlich haben die, die sich da rassistisch geäußert hatten, kaum noch Mut, sich an der weiteren Diskussion zu beteiligen. Wer kann es ihnen verdenken? Ich ergreife jedenfalls sogleich die Gelegenheit beim Schopfe (ach, wie liebe ich diese deutschen Sprachhülsen) und tue meinem missionarischen Eifer in Sachen multikulturelle Gesellschaft Genüge. Mein überzeugendstes Argument bin ja schließlich ich selbst.

„Warum regst Du Dich eigentlich so auf? Du warst doch gar nicht gemeint. Italiener sind sowieso keine Ausländer für uns.“ Eben da ist der Punkt, an dem ich schier verzweifle. Zum x-ten Mal rede ich mir den Mund fusselig, operiere mit Begriffen wie „multikulturell“, „Toleranz“ und „konstruktive Konfliktbereitschaft“, versuche zu vermitteln, daß es doch keine „besseren“ oder „schlechteren“ Ausländer geben kann. Daß man auch selbst etwas dafür tun muß, um die anderen, angeblich Fremden, nicht zu verstehen. Die meisten „Ausländer“, sage ich, sind mittlerweile – ob sie nun türkische, senegalesische oder italienische Wurzeln haben – nichtdeutsche Deutsche ohne deutschen Paß. „Deutsch sein“ und „deutsch denken“ funktionierte doch nicht ausschließlich über den Besitz eines maschinenlesbaren Ausweises. „Wir machen leider um diesen ,kleinen Unterschied‘ zu viel Aufhebens.“

So rede ich in Gegenwart von Deutschen stets selbstverständlich von „wir“ oder „uns“, obwohl ich rechtlich eigentlich dem Ausländergesetz unterworfen bin. Genauso geht es mir, wenn ich in einer Runde zusammensitze, die nur aus Ausländern besteht. „Wir“ oder „uns“ meint hier dann eben die Ausländer oder die Italiener, je nachdem. Wir nichtdeutschen Einheimischen tun uns mit der Unterscheidung dieser Begriffe selten schwer.

Der bayerische Komiker und Kabarettist Karl Valentin hat in einer seiner unnachahmlichen Vorstellungen – zu Zeiten wohlgemerkt, als Deutschland Ausländer entweder nur als Baströckchen- Exoten oder glubschäugige, zahnlose, russische Ungeheuer kannte – einmal mit der für ihn charakteristischen weisen Ironie einen wunderbaren Satz formuliert. Er hat gesagt: „Fremd ist der Fremde nur in der Fremde.“ Zu deutsch: Ausländer gibt es nur im Ausland. Folglich ist das eigene Land da, wo man kein Fremder ist. Logisch, nicht wahr? Wer also als Ausländer in der Fremde seine Heimat sieht, weil er sich dort zu Hause fühlt (sprachlich wie landschaftlich wie kulturell), der kann kein Fremder mehr sein. Das Wort „multikulturell“ kannte Karl Valentin freilich noch nicht, aber er wußte trotzdem, wovon er mit seinem sinnigen Wortspiel sprach. Schließlich waren die Bayern damals selbst – und sind es wohl für manchen heute noch – den Deutschen, gelinde gesagt, höchst fremdartige Wesen. Na, denke ich mir, das muß doch einschlagen, ein Aha-Effekt wäre hier das mindeste! Denkste: Kommt von der anderen Seite des Tisches, manchmal ist es auch der Telefonhörer, ein müdes Nicken, muß ich schon sehr zufrieden sein.

Und außerdem, frage ich ein wenig rhetorisch, wie soll ich mich denn bezeichnen? Ein Italiener bin ich genauso wenig wie ein Deutscher, trotzdem oder gerade weil ich beide Sprachen fließend spreche. Ich denke in beiden Kulturen und träume mal auf deutsch, mal auf italienisch, mal auf sizilianisch.

„Dann bist Du halt ein getürkter Italiener!“ Wirklich rührend, wie sich die Diskussion wieder in „Witz-komm-raus“-Attitüden verflüchtigt. Meine Geduld ist aber durch solch geniale Exkurse längst nicht zu strapazieren... Darin bin ich weder deutsch noch italienisch, noch sizilianisch.

Vor wenigen Jahren noch waren wir Italiener die Ausländer schlechthin. Als ich 1975 in Deutschland eingeschult wurde, war „Spaghetti-Fresser“ die harmloseste Beschimpfung, die ich täglich hörte. Ich nahm es mit Humor und zahlte stets mit gleicher Münze heim: „Kartoffelfresser“ hieß meine nüchterne Rache. Heute sind wir damit sogar zu Stars in Werbesendungen aufgestiegen: Oder haben Sie noch nicht mitgesungen bei der einfallsreichen Werbung für „pasta, pasta, Maggi, Maggi, pasta, pasta“ oder genüßlich zugeschaut beim romantischen „Pizza de deux“ von Dr. Oetker? Die Kosmetikindustrie treibt es viel bunter. Sie erhebt uns bald zu Helden: Für Oil of Dingsbums (eine Hautmilch) darf ein italienisch aussehender barista in der Eisdiele, wo sonst, mit schmalziger Softi-Stimme „Mamma mia“ sagen! Selbst die Fernsehlotterie Glücksspirale mag auf den Italiener nicht mehr verzichten. Eine deutsche Luxusdame unterhält sich mit zwei Mafia-Größen à la Capone im Rolls Royce. Der Tip von der Frau: Kauft Euch doch ein Los der Glücksspirale. So könnt Ihr auf ehrliche Weise zu Eurem Geld kommen. Die Anregung wird dankend angenommen. Schließlich ist ein Mafioso der perfekte Gentleman. Ein bißchen geschossen wird trotzdem noch: Das Los wird mit dem schallenden Geräusch einer Kugel durchbohrt. Sie wissen doch, die Instinkte. Der Italiener, der hat's drauf. Das weiß die Werbung, gottseidank, schon länger als andere. Damit nicht genug. Da gibt es in Bonn tatsächlich die gefürchtete Toscana-Fraktion, bestehend aus lauter prominenten deutschen SPD-Mitgliedern, die Urlaub auf dem Bauernhof gern mit Politik verbinden, Cosa-Nostra-Feeling mal ganz anders.

Tjaja, das Land, wo die Zitronen blühen... war Symbol für zivilisatorische Rückständigkeit und geistige Armut. Heute ist das anders: Wir sind das Land der Mode, des Designs, des temperamentvollen Latin Lovers, des sympathischen politischen Chaos, das immer all'italiana endet: unbeschwert und voller Optimismus. Wie sagt doch der legendäre Obelix? Die spinnen, die Deutschen. Oder waren es die Römer? Egal. Bei den Deutschen haben wir jedenfalls eine Menge Punkte gesammelt.

Sollten wir uns wundern, wenn es bald mit Paella, Kebab und Döner, Cevapcici und Couscous, „Olé“ und „Salamaleikum“ in Ministerrunden und Stammtischen ebenso losgeht? Franco Foraci

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