: Nicht schutzwürdig
Das Sozialressort missachtet regelmäßig den Datenschutz behinderter Menschen, klagen die bremischen Behindertenverbände. Anlass ist der Fall eines blinden Rollstuhlfahrers
von Jan Zier
Man könnte es als „Einzelfall“ abtun – so wie es jetzt die Sozialbehörde macht. Und sie hat ja auch offiziell Besserung gelobt. Doch für die Behindertenverbände im Lande Bremen ist es nur ein „exemplarisches“ Beispiel, wie Richter Matthias Weinert von Verein „Selbstbestimmt Leben“ sagt. Eines, das „besonders drastisch“ deutlich mache, wie verfassungsmäßige Grundrechte behinderter Menschen immer wieder und buchstäblich sträflich missachtet würden.
In diesem Falle jene von Klaus-Fritz Kraft, 74, der als erblindeter Rollstuhlfahrer in einer Einrichtung der Altenpflege Friedehorst lebt. Jahrelang durfte er einmal die Woche mit dem Taxi fahren, auf Staatskosten, weil er Bus und Bahn nicht selbstständig nutzen kann. Die Regelung jedoch wurde von der großen Koalition 2006 gestrichen, Kraft klagte dagegen vor dem Verwaltungsgericht. In diesem länger währenden Prozess nun legte die beklagte Sozialbehörde kurzerhand ein Attest des behandelten Arztes vor. Das Problem: „Das geschah hinter meinem Rücken“, sagt Kraft. Und ohne dass er seinen Arzt von dessen Schweigepflicht entbunden hätte. Eine „Verletzung des Privatgeheimnisses“, sagt das Strafgesetzbuch, das für solche Vergehen eine Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr vorsieht.
Der Arzt gab auf Anfrage der Behörde bereitwillig darüber Auskunft, inwiefern der Gesundheitszustand des Herrn Kraft es ihm ermöglicht, sich selbständig fortzubewegen oder Bus und Bahn zu nutzen. Eine klare Verletzung des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung, sagt der Landesdatenschutzbeauftragte: Personenbezogene Gesundheitsdaten dürfen ohne Einwilligung des Betroffenen nicht übermittelt werden. „Diese Voraussetzung war hier jedoch nicht erfüllt.“
Das Sozialressort sah durch sein Ansinnen indes „keine schutzwürdigen Interessen“ verletzt, Kraft selbst zu fragen, hätte einen „unverhältnismäßigen Aufwand“ bedeutet. Und „nur ungenaue Informationen“ ergeben. Keinesfalls habe man den Datenschutz missachtet. Weinert nennt diese Begründung eine „Beleidigung“.
Auch der Arzt weist alle Schuld von sich: Es sei um „bloße Tatsachenfeststellungen“ gegangen, nicht aber um Informationen, die ihm als Arzt anvertraut worden seien. Und überhaupt: „Ich bin von Herrn Kraft ausdrücklich darum gebeten worden.“ Stimmt nicht, sagt der gemeinsam mit seiner Rechtsanwältin Doris Galda. Strafanzeige erstatten will er aber nicht.
In der Sache hat er vor dem Verwaltungsgericht Bremen recht bekommen, die Streichung der Fahrdienst-Gutscheine für behinderte HeimbewohnerInnen erwies sich als rechtswidrig. Doch darum allein geht es Kraft nicht. Zumal das Sozialressort sein Vorgehen im konkreten Fall weiter als richtig erachtet. Und gleichwohl versichert hat, „künftig“ auf Datenerhebung bei Dritten zu verzichten.
Das stimmt nicht, sagt Weinert, der auch Schwerbehindertenvertreter der Bremer Richterschaft ist – und von anderen, ähnlich gelagerten Fällen zu berichten weiß. Auch der Landesbehinderten-Beauftragte Joachim Steinbrück, ein Jurist, spricht von einer „Tendenz“, einer „Gefahr“, dass Behörden untereinander oder mit Ärzten zunehmend persönliche Daten austauschen – ohne die Betroffenen zu befragen, gerade, wenn es um Behinderte gehe. Das, sagt Steinbrück, ist ein „strukturelles Problem“. Und kein Einzelfall.