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Nicht rechtsstaatlich

■ Anwaltskammer an Wrocklage: Gebietsverbote sind Berufsbehinderung

Wenn Hamburgs Innensenator Hartmuth Wrocklage (SPD) heute morgen die Post öffnet, erwartet ihn ein dicker Rüffel in Sachen Rechtsstaatlichkeit. Die Anwaltskammer hat sich nämlich dazu durchgerungen, Wrocklage und seiner St. Georg-Politik mit dem Grundgesetz auf die Finger zu hauen. Denn: Weil Mandanten mit Aufenthaltsverbot für St. Georg nur noch mit polizeilicher Genehmigung ihren Rechtsbeistand aufsuchen können, liegt nach Ansicht der Kammer eine Behinderung der Berufsausübung vor.

Geklagt hatte der St. Georger Anwalt Ernst Medecke, der seinen minderjährigen Mandanten Özcan A. nicht mehr betreuen kann. Özcan A. wurde mit einem Gebietsverbot – Aussperrung aus St. Georg für sechs Monate – belegt; die Polizei legt ihm Drogendelikte zur Last.

Seinen Anwalt, so die Innenbehörde, könne er natürlich besuchen: mit einem Passierschein. Medecke hält das Vorgehen der Polizei nicht nur für einen Angriff auf das Rechtsanwaltsgeheimnis. Er befürchtet auch, daß Mandanten abwandern. Wenn ihnen Steine in den Weg gelegt würden, seine Kanzlei aufzusuchen, „ist davon auszugehen, daß sie sich anderen Anwälten zuwenden.“ Das gefährde seine berufliche Existenz.

Er klagte in eigener Sache gegen das Gebietsverbot und legte außerdem Beschwerde bei der Rechtsanwaltskammer ein. Die pflichtete ihm jetzt bei und setzte sogleich ein Protestschreiben an den Innensenator auf. In dem Brief zieht die Kammer das Grundgesetz zur Begründung heran. „Alle Deutschen haben das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen“ heißt es dort in Artikel 12. Die Anwaltskammer fordert Innensenator Wrocklage deshalb auf, die Berufsbehinderung zu unterlassen.

Medecke wirft der Innenbehörde darüber hinaus vor, St. Georg wie ein militärisches Sperrgebiet zu behandeln – und zwar ohne Rechtsgrundlage. Man habe sich bei den umstrittenen Gebietsverboten „gar nicht erst die Mühe gemacht, eine Ermächtigungsgrundlage“ zu benennen. Silke Mertins

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