Nicht nur Joschka Fischer hängt an den Grünen: Wo bleibt die Risikoabwägung?
betr.: „Meinen Sie, ich will in den Krieg ziehen?“ (Joschka-Fischer-Interview), taz vom 29. 9. 01
Was Fischer von sich gibt, klingt ziemlich bieder, spießig und muffig. Gut, nun ist aus dem wilden Joschka doch noch was geworden, nämlich ein treuer und braver deutscher Beamter mit Diplomatenausweis. Was die Altersmilde ausmacht! .
Schließlich macht seine Karriere mir Hoffnung, so dass womöglich ich, Anarchist, noch Bundespräsident werde.
ULRICH WAHL, Ehningen
Auf die Frage nach einer Neubewertung des Atomausstiegs spricht Joschka Fischer sich gegen eine „Schockabschaltung“ wegen massiver negativer Konsequenzen aus – „da muss man eine Risikoabwägung vornehmen“. Wo bleibt die Risikoabwägung wegen der massiven negativen Folgen, die der geplante Kriegseinsatz doch wohl haben wird? Hier heißt es lapidar (und – sorry, Joschka – durch das Wort „jetzt“ auch leicht absurd): „Wenn wir den Terror jetzt nicht besiegen, dann wird er unseren Alltag bestimmen.“
Die Komplexität des Terrorismus wird zwar anerkannt, die notwendige Komplexität seiner Bekämpfung aber hintenangestellt und erstmal nach der militärischen Antwort gegriffen. Die passt indes überhaupt nicht zur Problematik. Hier will ein Krieg geführt werden ohne definierten Gegner, ohne definiertes Territorium, das angegriffen wird, ohne definierbares Kriegsziel – denn wann und wodurch soll denn festgestellt werden, dass der globale Terrorismus nun besiegt ist? All diese Defizite verweisen den Terrorakt in den Bereich des Verbrechens und verlangen, dass er mit den Mitteln der Verbrechensbekämpfung verfolgt wird.
Und noch ein Wort zu unserer Partei, an der ich genauso hänge wie Joschka Fischer und so ungefähr 50.000 andere: Der Außenminister stellt völlig zu Recht fest, dass für sein Handeln an erster Stelle die Verpflichtung steht, die sich aus seinem Amtseid ergibt. Niemand mit etwas Vernunft konnte von Joschka Fischer erwarten, dass er im Amt des Außenministers 1:1 Grüne Grundsätze umsetzt. Aber genauso wenig darf Fischer erwarten, dass die Partei ihre Grundsätze 1:1 an den Nagel hängt. Ein bisschen debattieren und Fragen stellen und sich letztlich auch als Partei doch immer den Regierungsvorgaben unterordnen, reicht da nicht – übrigens auch unseren WählerInnen nicht. Wem das die 17 Wahlen, die hinter uns liegen, nicht zeigen, der will nichts sehen. Bei allem Respekt, Joschka, hier irrst Du. SYLVIA KOTTING-UHL,
Landesvorstand Grüne Baden-Württemberg
Ob Fischer heute ein mündliches Bekenntnis zu den Grünen ablegt, ist für die Zukunft von geringer Bedeutung. Aus Sicht einer „grünen Markenführung“ zeigt sich ein großer Widerspruch zwischen Worten und Wirken: Wie passen eine Partei, die sich als Alternative versteht, und ein Mensch an ihrer Spitze, dessen Selbststilisierung in Sprache und Auftreten seit Amtsantritt so sehr in eine konservativ-konventionelle Richtung geht, zusammen?
Die mögliche Erklärung: Der Außenminister möchte sich in erster Linie als bundes-präsidiabel ausweisen. Das Beispiel Walter Scheels zeigt, dass es auch ohne Mitgliedschaft in einer der beiden „Volksparteien“ geht.
PATRIK WERNER, Münster
Aber, aber, Herr Fischer! Niemand unterstellt Ihnen und Ihrem Chef, dem Kanzler, dass Sie in den Krieg ziehen wollen. Das überlassen Sie und Ihresgleichen doch stets jenen Angehörigen des gemeinen Volkes, die extra dafür ausgebildet worden sind. Wenn die, die einen Krieg als notwendig erachten, selbst vorneweg in denselben ziehen müssten, wäre diese Art der politischen Konflikt-„Lösung“ doch längst aus der Mode gekommen.
UWE TÜNNERMANN, Lemgo
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