Nicht energieeffizient: Verschätzt und verzockt
Warum stehen Windparks im Meer, die keinen Strom liefern? Antworten findet man bei Siemens. Der Konzern verschätzte sich bei der Anschlusstechnik.
Windparks, die monatelang keinen Strom erzeugen, sondern welchen verbrauchen: Was wie ein Beispiel für schlechtes Zeitmanagement klingt, war und ist immer wieder Realität in der deutschen Nordsee. Im Moment sind die Anlagen zweier Windparks fertig installiert, doch sie liefern noch keinen Strom, weil der Anschluss ans Netz fehlt. Stattdessen verbrauchen die 120 Windräder der Parks Meerwind Süd/Ost vor Helgoland und Trianel vor Borkum Energie für die Beleuchtung und den Korrosionsschutz. Das bringt schlechte Schlagzeilen – und schlechte Zahlen für die Parkbetreiber.
Gegen die kämpfen nicht nur Offshore-Investoren an, sondern auch der Netzbetreiber Tennet und Netztechnikzulieferer wie Siemens. Der Münchner Konzern erhielt den Auftrag für fünf der bisher zehn geplanten Umspannwerke. Tim Dawidowsky, Chef der Sparte Übertragungstechnik bei Siemens, versucht nun gute Nachrichten zu verbreiten. Die Probleme bei der Netztechnik seien behoben. Der Rückstau bei den Projekten löse sich auf, sagte er. „Der Realisierungsdruck liegt nun bei den Windparkbetreibern.“
Eine erstaunliche Aussage angesichts der erheblichen Startschwierigkeiten, die Siemens in dem Geschäftsfeld hatte. Siemens hatte Tennet bei der ersten Plattform versprochen, sie 33 Monate nach Auftragserhalt arbeitsbereit im Meer stehen zu haben. Der Auftrag ging 2010 an Siemens. Das Unternehmen ließ parallel zum Genehmigungsprozess bauen – und musste oft umrüsten. Doch heute ist die riesige, 75 Meter breite und 50 Meter lange Anlage zwar schon im Meer vor Helgoland zu sehen, doch noch laufen die Vorbereitungen für die Inbetriebsetzung. Im Laufe dieses Jahres soll sie in Betrieb gehen. An diese Station soll der schon fertige Park Meerwind Süd/Ost angeschlossen werden. Solange die Plattform nicht läuft, verbraucht der Park Strom, anstatt welchen zu erzeugen.
Dawidowsky versucht zu erklären, wie es zu der Verspätung kommen konnte. Die Entwicklung von offshore-tauglichen Konverterplattformen sei Pionierarbeit gewesen. Dort wird der von Windturbinen erzeugte Wechselstrom in Gleichstrom umgewandelt. Der Grund: Die meisten Windparks in der Nordsee liegen so weit draußen, dass diese Technik genutzt wird, um den Strom mit möglichst wenigen Verlusten ins Netz zu bringen. „Es war unklar, welche Unterlagen eingereicht werden müssen, welche Standards gelten“, sagt Dawidowsky.
Die Probleme bei den ersten vier Plattformen hatten drastische wirtschaftliche Konsequenzen für Siemens: Über 800 Millionen Euro Verlust in der Energiesparte. Zur Orientierung: Laut Tennet kostet ein Netzanschluss mit Kabel, Konverterstation auf dem Meer und an Land zusammen etwa eine Milliarde Euro. Genauere Daten zu den Kosten gibt es nicht. Auch wegen der Kosten für die Netzanschluss-Technik steht die Offshore-Technik in der Kritik. Es ist eine ziemlich teure Art, erneuerbare Energie zu erzeugen.
Heute bietet Siemens solche Plattformen nur noch mit fünf Jahren Lieferzeit an. Außerdem gibt das Unternehmen Aufgabenbereiche und Risiken im Konsortium ab, das solche Aufträge annimmt. Bisher entschied zum Beispiel auch Siemens, welche Werft den Auftrag für den Bau solcher Plattformen erhielt – drei der Aufträge gingen an Nordic Yards in Warnemünde. Ob die Werft nun Folgeaufträge erhält, ist unklar – entscheiden muss jetzt ein anderes Unternehmen.
Siemens hat also noch keine einzige Umspannplattform im Meer in Betrieb genommen – sieht aber dennoch die meisten Probleme gelöst. Bei den Betreibern von Windparks in Wartestellung sieht man das anders. „Wir sind eine vergleichsweise junge Industrie, die noch viele Unwägbarkeiten und Kinderkrankheiten zu bewältigen hat“, sagt Klaus Horstick, der Geschäftsführer des Trianel Windparks. Wer einen anderen Eindruck vermitteln wolle, der müsse sich an seinen Leistungen messen lassen – „und das sehen wir bislang noch nicht“. Eigentlich sollte der Probebetrieb mit Netzanschluss für seinen Windpark im Oktober 2012 laufen. Aber: „Selbst in diesem Jahr wurden uns immer noch weitere Verzögerungen gemeldet“. Dass die Probleme behoben seien, kann Horstick deshalb nicht glauben. Er spricht von einer steilen Lernkurve, die nun durchlaufen werden müsse. Trianel rechnet mit einem Netzanschluss im Juli – wenn alles gut geht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Olaf Scholz’ erfolglose Ukrainepolitik
Friedenskanzler? Wäre schön gewesen!
Außenministerin zu Besuch in China
Auf unmöglicher Mission in Peking
Christian Lindner
Die libertären Posterboys
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Comeback der K-Gruppen
Ein Heilsversprechen für junge Kader