Nicht einmal Spurenelemente von Perestroika

Auf ihrem neunten ordentlichen Parteitag steht die Deutsche Kommunistische Partei (DKP) vor einer Zerreißprobe / Vorsitzender Herbert Mies will alle Anhänger aus der Gruppe der „Erneuerer“ aus dem Vorstand heraushalten  ■  Von Jan Feddersen

„Chaotisch wird es wahrscheinlich“, meint ein in der Hamburger DKP-Zentrale beschäftigtes Mitglied mit Blick auf den ab heute in der Frankfurter Festhalle stattfindenden Parteitag der Deutschen Kommunistischen Partei. Lächelnd ergänzt er: „Aber das ist doch nur gut.“

Deutsche Kommunisten finden Chaos gut? Im Geiste des französischen Philosophen Louis Althusser womöglich, der Ende der siebziger Jahre die ideologischen Erschütterungen der nichtorganisierten Linken in Westeuropa mit den Worten begrüßte: „Hurra, die Krise ist da“?

So offen wollen allerdings selbst die als „Erneuerer“ titulierten innerparteilichen Opponenten gegen die Verkrustungen der nach wie vor mehrheitlich stalinisierten DKP die Diskussionen um eine Neubestimmung kommunistischer Politik in der BRD nicht auftreten.

Chaos ist sowieso nicht die leichteste Übung von Westdeutschlands Kommunisten: Aber das, was der seit 15 Jahren amtierende Parteivorsitzende Herbert Mies in einem Interview mit der 'Neuen Presse‘ in Hannover verlautbaren ließ (der Text wurde am Dienstag auch in der DKP -Hauspostille UZ veröffentlicht), weist die Mehrheit als Provokateure aus. Mies wirft den „Erneuerern“ nicht nur vor, die „weltanschaulichen Grundpositionen“ verlassen zu wollen. In einem Nachsatz nämlich fordert der während der fünfziger Jahre in der DDR geschulte Spitzenkader, daß ein „Auseinanderdriften und eine Polarisierung“ verhindert werden müsse. Clou der Aussage: Auf Betreiben der Vorstands und Parteimehrheit um Mies hat der Parteivorstand im November letzten Jahres ein auf dem Frankfurter Parteitag zu verabschiedendes Personalpaket für die künftige Vorstandsriege geschnürt, die bis auf den Hamburger DKP -Vorsitzenden Wolfgand Gehrcke alle anderen „Erneuerer“ aus den Spitzengremien ausschließt. Prominenteste Opfer der Säuberungsaktion ist der Hamburger Schriftsteller Peter Schütt, der wegen vermeintlich parteischädigender Äußerungen nicht mehr für den Parteivorstand vorgeschlagen wurde. Mit der Verszeile: „Das Material, das sie gegen mich verwandt haben, war nichts anderes als ihre eigene Scheiße“ ging er nach dem Geschmack verhärmter Vorstandskollegen entschieden zu weit. Dabei wollte Schütt doch nur Helmut Krebs beispringen, der wegen anderer Unbotmäßigkeit aus der baden -württembergischen Sektion der „Partei der Arbeiterklasse“ ausgeschlossen wurde.

Auch andere innerparteiliche Streiter gegen die preußische Spielart des Sozialismus a la SED wie Uwe Knickrehm (Friedensliste), Thomas Harms (Ex-Vorsitzender des Marxistischen Studenten-Bundes), Vera Achenbach und Werner Stürmann (Ex-Chef der DKP-Jugendorganisation, der Sozialistischen Arbeiterjugend Deutschlands, SDAJ), sollen nicht wiedergewählt werden. Apropos SDAJ: Die einst so vorbildliche Organisation für brave Jugendspiele wird, da total Perestroika-infiziert, nicht wieder im neuen Vorstand vertreten sein.

Die Kahlschlagsanierung der Parteimehrheit gegen die vielfach auch als „Moskauer Linie“ titulierte „Erneuerer„ -Gruppe hätte womöglich für die weitere Lebensfähigkeit der DKP bittere Folgen. Die Partei, die in goldenen Wagenburg -Zeiten noch 50.000 Mitgliedskärtchen in ihrer Kartei führte, mußte in den letzten Jahren einen Mitgliederverlust verkraften. Insider schätzen die Mitgliederzahl auf nur noch knapp 40.000: „mit 70 Prozent Karteileichen, Leute, die nur noch aus alter Gewohnheit Mitgliedsbeiträge zahlen. Aktiv machen viele nix mehr“, bekennt ein Hamburger Funktionär, der sich erst noch daran gewöhnen muß, daß es auch innerparteilich erbitterte Kämpfe geben kann und daß Hallelujah-Stimmungen bestenfalls der Schlußhymne, der „Internationale“ überlassen werden sollten.

Die auch im Rechenschaftsbericht des Vorstands hochgehaltene Verankerung der DKP in der Friedens- und Gewerkschaftsbewegung täuscht über die tatsächlichen Verhältnisse in diesen Bewegungen hinweg: „Viele arbeiten da aus politischer Überzeugung mit - als Individuen, nicht als Kommunisten. DKP-Mitglieder sind häufig nur beiläufig“, ergänzt der Funktionär, der seinen Namen geschützt sehen will. Die Partei, die wahlarithmetisch mit knapp 0,3 Prozent knapp oberhalb des Nirwanas sich eingependelt hat, hat zudem weitere Verluste zu verzeichnen: Schon 30 der insgesamt 500 hauptamtlich beschäftigten Parteiangestellten haben das Zepter hingeschmissen - resigniert, enttäuscht von einer Partei, die sich zuviel auf eine angeblich knapp 150jährige Tradition deutscher Kommunisten einbildet und zuwenig Gedanken macht über die Stalinisierung der KPD ab 1925.

Wenige Stunden vor Eröffnung des 600 Delegierten starken Konvents am Main scheint allerdings auch der Parteiführung klar zu sein, daß die Ausgrenzung der Minderheit so glatt und fugenlos wie geplant nicht klappt. In einem Brief von 23 prominenten Hochschullehrern (Klaus Holzkamp, Norman Pauch, Frank Deppe, Erich Wulff, Horst Holzer u. A.) an das DKP -Präsidium heißt es: „Wir sind der Überzeugung, daß einer solchen Situation (Stagnation und Krise der Partei, d. Red.) die Überwindung von Widersprüchen nur in einer Atmosphäre der offenen Diskussion... stattfinden kann.“ Ein klares Signal Richtung Parteimehrheit, die Praxis der Ausgrenzung und Diffamierung einzustellen. Aus einer anderen Ecke argumentiert der Initiativantrag der hessischen DKP. Der Antrag, am 17.Dezember auf einer Versammlung in Gießen beschlossen, soll heute abend in Frankfurt vorgelegt werden. In ihm fordert der als traditionalistisch eingeschätzte Parteibezirk, „die ersten Überlegungen für Präsidium und Sekretariat“ zu ändern und die „wichtigsten unterschiedlichen Meinungen produktiv zu machen“.