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Nicht die Feder schmutzig machen

betr.: „Etwas hat in der Zone überlebt“, taz vom 24. 9. 99

Dieser pseudointellektuelle Quark, den Herr Bittermann als Satire ausgibt, ist eine üble pauschale Verunglimpfung aller Ostdeutschen auf Biertischniveau. Nicht etwa, dass es die von ihm thematisierte Nostalgie nicht bei vielen noch gäbe. Auch wäre absolut nichts gegen eine ironische Auseinandersetzung mit diesem die tatsächliche DDR-Vergangenheit verklärenden Beurteilungsmuster einzuwenden. Aber wer sich wie Herr Bittermann Satz um Satz derart anmaßend im Ton vergeift, muss sich fragen lassen, ob er noch bei Trost ist.

Genüsslich wendet er Sätze eines betrunkenen sowjetischen Oberst aus dem „Lügendetektor“ von Saul K. Padover („Solchen Schweinen den Kommunismus schenken?“) auf den verachteten Zoni an. Es stört ihn nicht, dass im Text von ganz Deutschland die Rede ist und keineswegs von der Ostzone. Für ihn ist dieser aus dem Zusammenhang gerissene Satz, den ich als unerhörte Diffamierung empfinde, offenbar das historische Quod erat demonstrandum. Der Himmel scheint es ihm geschickt zu haben. So konnte er, dank einer unverdächtigen aktuellen Publikation die Ostdeutschen summarisch mit Schweinen vergleichen, ohne sich die Feder schmutzig zu machen.

Aber auch mit der jüngeren deutschen Geschichte hat der Spaßautor so seine Befindlichkeiten. Die Ereignisse vom Herbst 1989 sind für ihn eine „komische Revolutionsoper“. Als am 9. Oktober 1989 70.000 mutige Bürger auf dem Leipziger Ring demonstrierten, fanden sie es gar nicht komisch, dass ihnen 7.000 Bewaffnete gegenüberstanden. Viele Teilnehmer der Demo des Vormontags saßen zu dieser Zeit schon im Stasigefängnis in der Dimitroffstraße. Auch die Besetzung der Bezirksverwaltung der Staatssicherheit durch das Bürgerkomitee kurz darauf war vermutlich zunächst gar nicht komisch und verdient auch zehn Jahre danach unseren Respekt.

Wolfgang Hocquél, Leipzig

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