: Nicht der Sieg, sondern das Blutvergießen
■ Historiker Michael Geyer berichtete über die Todeserfahrungen im Ersten Weltkrieg
Mit seinem Vortrag Das Stigma der Gewalt – Todeserfahrungen in Deutschland 1914-1960 eröffnete der Militärhistoriker Michael Geyer am Dienstag die Vortragsreihe des Hamburger Instituts für Sozialforschung Totaler Krieg und seine Krieger, die sich im ersten Teil mit der Wegbereitung zum Zweiten Weltkrieg auseinandersetzt.
Nicht die Suche nach einem Uranlaß könne hier Aufklärung verschaffen, so Geyer, sondern notwendig sei auch für den Historiker vor allem der Blick in die Welt der Emotionen. Denn die Auffassung, daß es die kollektive Mentalität einer ganzen Gesellschaft war, die die Vernichtungskriege des 20. Jahrhunderts erst ermöglichte, hat Geyer schon früher vertreten und damit den Finger in eine offene Wunde gelegt.
So finden sich zwar viele Zeugnisse für das Entsetzen und die Erregung angesichts der neuen Dimensionen des Tötens und Todes im Ersten Weltkrieg. Dies sowohl in Briefen und Tagebuchaufzeichnungen, als auch in der künstlerischen und literarischen Betätigung nach dem Krieg. Durchgesetzt hat sich dann jedoch eine Ästhetisierung und Heroisierung der Welt des Todes und Schmerzes, wie sie gerade in den Werken von Ernst Jünger zelebriert wird. Warum aber hat sich nur in Deutschland und nicht in Frankreich oder England eine solche Schmerzenskultur etabliert? Diese Frage konnte Geyer mit dem Hinweis auf die fehlende politische Öffentlichkeit für die psychischen und physischen Schäden des Krieges nur dürftig beantworten.
Ihm geht es zunächst um eine Bestandsaufnahme: Nicht Sieg, sondern Blutvergießen als Zweckbestimmung des Zweiten Weltkrieges, wie eine Reihe – insbesondere männlicher – Gewaltphantasmen belegen, die auch Klaus Theweleit in seiner Faschismusanalyse Männerphantasien auseinandergenommen hat. Fortgesetzt wird die Reihe am 26. Oktober mit einem Vortrag von Jan Philipp Reemtsma zur Idee des Vernichtungskrieges.
Karen Jaehrling
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