: Nicht den Ball verfehlen
Dieses Spiel hat mehr für die Durchsetzung des Computers getan als jedes andere Programm: „Pong“. Ein Punkt, zwei Striche, ein einfaches Prinzip. Die Ausstellung „pong.mythos“ im Württembergischen Kunstverein in Stuttgart spürt ihm nun nach
VON TILMAN BAUMGÄRTEL
Am Anfang war der Punkt. Ein viereckiger Punkt, um genau zu sein. Der war weiß und flog vor einem schwarzen Hintergrund hin und her. Links und rechts waren zwei Striche auf dem Bildschirm. Das kleine Klötzchen war der Ball. Die Striche waren die Schläger, die man mit Joysticks bewegen und damit zweidimensionales Tennis auf einem Fernsehmonitor spielen konnte. Das ganze hieß „Pong“ und war das erste Computerspiel, das die breiten Massen erreichte und dazu beigetragen hat, den Computer als Haushaltsgegenstand durchzusetzen.
Die Ausstellung „pong.mythos“, die jetzt im Württembergischen Kunstverein in Stuttgart zu sehen ist, betrachtete das Spiel als einen der „größten und populärsten Gründungsmythen unserer digitalen Informationsgesellschaft“. Es geht um nicht weniger als „einen Ball, zwei Schläger und unser Leben in der digitalen Welt“, wie es der Untertitel der Schau selbstbewusst formuliert. Um das Spiel in der gebotenen Weise zu würdigen, beschränkt sich die Schau nicht auf eine Präsentation von historischen Spielkonsolen und anderen Spielaccessoires. Kurator Andreas Lange hat zwanzig Kunstwerke von jüngeren Medienkünstlern gefunden, die sich mit dem Spielprinzip von „Pong“ auseinander setzen – ein Zeichen dafür, welchen Kultwert das Game für eine mit Computerspielen sozialisierten Generation inzwischen besitzt.
„Pong“ war dabei keineswegs das erste Computerspiel, wie heute oft behauptet wird. Schon in den Fünfzigern gab es Schachspiele für die noch ganze Laborräume füllenden Mainframe-Computer. Auch das Ballerspiel „Space War“, das in den Sechzigern an amerikanischen Universitäten kursierte, benötigte einen Computer, der mehrere Millionen Dollar kosten. Erst als Anfang der Siebziger die ersten preiswerten Minicomputer auf den Markt kamen, hielt der amerikanische Erfinder Nolan Bushnell die Zeit reif für ein Computerspiel für den Massenmarkt. Er bastelte eine Konsole, auf der man eine Version von „Space War“ spielen konnte. Doch das Spiel war ein Flop, seine Regeln zu kompliziert.
Nolan Bushnell resümierte, Computerspiele müssten so simpel sein, dass sie „ein Betrunkener in einer Bar kapiert“, und entwickelte ein Spiel mit einer einzigen Regel: „Nicht den Ball verfehlen.“ Das Spiel nannte er „Pong“. Es wurde nicht nur ein rasender Erfolg, sondern auch der Grundstein für Bushnells Firma Atari.
„Man musste den Leuten die Möglichkeiten zeigen, die ihnen Computer eröffnen“, sagte Nolan Bushnell später in einem Interview. „Computerspiele haben mehr für die Verbreitung von Computern getan, als jede andere Anwendung inklusive Rechnen, Textverarbeitung, Spreadsheets, Grafikprogramme. Nichts davon war so wichtig wie die Computerspiele. Als „Pong“ herauskam, haben uns die Leute gefragt: ‚Wie kommen die Signale denn zu der Fernsehstation?‘ Die dachten, dass die Bilder über einen Fernsehsender gehen müssten, damit sie auf ihrem Bildschirm erscheinen konnten. Die Vorstellung, dass man einen Computer an einen Monitor anschließen und dessen Bilder manipulieren konnte, war ziemlich revolutionär.“
„Pong“ nun in den Kunstkontext zu versetzten, ist dabei durchaus nahe liegend. Denn etwa zur selben Zeit, in der Bushnell sein Spiel entwickelte, begannen sich auch Künstler dafür zu interessieren, wie man den Bildern auf den Monitoren den eigenen Willen aufzwingen könne. Nam June Paik ließ Ende der Sechziger bei seiner Skulptur „Participation TV“ den Betrachter das Fernsehbild mit einem Elektromagneten verzerren und deformieren. Zur selben Zeit als Bushnell seine „Pong“-Konsole zusammenlötete, baute Paik an seinem „Videosynthesizer“, mit dem man Videobilder manipulieren konnte – ein frühes Beispiel für das, was heute „interaktive Kunst“ heißt.
Solche historischen Arbeiten fehlen in der Stuttgarter Ausstellung weitgehend. Bloß Valie Exports Expanded-Cinema-Werk „Ping Pong“ von 1968, bei dem man mit einem Tischtennisschläger nach weißen Punkten auf einer Filmleinwand schlagen muss, stellt eine Verbindung zu der Kunst her, die in den Sechzigern und Siebzigern ihren medialen Rahmen sprengen wollte.
Stattdessen konzentriert sich die Schau auf gegenwärtige Arbeiten, die sich auf das historische „Pong“-Spiel beziehen. Einer der Sofortklassiker des neuen Genres der „Pong Art“, das die Ausstellung vorschlägt, dürfte wohl „Pongmechanik“ von Niklas Roy sein, das bereits im vergangenen Jahr bei dem Berliner Medienkunstfestival Transmediale zu sehen war. Der Berliner Künstler Roy hat eine exakte Kopie von „Pong“ hergestellt, allerdings mit dem Unterschied, dass das Spiel nicht mehr auf einem Computerchip läuft, sondern mechanisch nachgebaut wurde. Aus dem Computergame ist wieder ein Spielzeug geworden.
Überhaupt ist die Übersetzung des Spielprinzips von „Pong“ in andere Medien eine der beliebtesten künstlerischen Operationen, die die enzyklopädisch wirkende Ausstellung in immer neuen Variationen vorführt. Ein dreidimensionales „Pong“, ein „Pong“, das man durch Fahrradfahren antreiben muss, ein „Pong“ für Blinde, bei dem man den Spielgeräuschen folgen muss – das sind einige der Projekte, die in Stuttgart zu sehen sind. Aber es gibt auch Arbeiten, die auf die Interaktion des Betrachters ganz verzichten. In Antoine Schmitts Computerinstallation „Vexation 1“ titscht ein Ball auf einem Monitor still-vergnügt von einer virtuellen Wand zur anderen und produziert dabei eine kleine Melodie – immer dieselbe, aber je nach Tempo des Balls immer mit anderer Phrasierung.
Die meisten Arbeiten, die bei „pong.mythos“ zu sehen sind, halten sich jedoch fern von derartigem computergenerierten Solipsismus. Sie müssen gespielt werden, am besten von mehreren Teilnehmern. „Pong“-Erfinder Nolan Bushnell würde die Ausstellung gefallen. Im vergangenen Jahr sagte er in einem Interview: „Ich interessiere mich für Spiele, die eine soziale Funktion haben können. Das Spiel sollte sekundär gegenüber der Interaktion sein, die es auslöst.“
Bis 30. April, www.pong-mythos.net/