„Nicht alles nach Rezept“

Mit Umweltministerin Angela Merkel in Gorleben: Demonstrationen, Blockaden und beleidigte Bürgermeister / Nur die CDUler hören ihr zu  ■ Aus Lüchow Michaela Schießl

Energisch schüttelt die Bundesumweltministerin ihre Topffrisur nach hinten, holt tief Luft und besteigt das Podium. Was sie sieht, ist der erste angenehme Anblick des Tages: 250 anständige Menschen, die erwartungsvoll ihrer Worte harren. Da läßt Angela Merkel (CDU), erstmals an diesem verkorksten Tag, die Schultern fallen: Hier wird keiner weglaufen, keiner auf die Pauke hauen und auf Pfeifen trillern. Vor ihr sitzen die CDU-Mitglieder des Kreises Lüchow-Dannenberg, frisch gestriegelt, handverlesen und gesichtskontrolliert. Ein Heimspiel also, und schon heuchelt die Ministerin los: „Ich hatte einen interessanten Tag heute.“

In Wahrheit war er ein Graus. 400 Umweltschützer demonstrierten, als die Ministerin das Gelände des umstrittenen Erkundungsbergwerks für das atomare Endlager in Gorleben besuchte und ihr Plädoyer für ein deutsches Atommüllendlager abgab. Als nächstes versperrten militante Treckerfahrer die Zufahrt zum Zwischenlager. Merkel mußte in einen Hubschrauber umsteigen, was ökobilanztechnisch als Vergehen mittelschwerer Natur gegeißelt werden muß. Die Krönung: Die Bürgermeister der Gemeinden um Gorleben waren beleidigt, weil für das Gespräch mit ihnen lediglich 15 Minuten angesetzt waren. Für ein Alibi-Palaver seien sie nicht zu haben, beschlossen die Dorfchefs, und sagten das Teffen ab.

Ein fiasköser Nachmittag also, und damit am Abend nichts schiefgeht, sperrten Hundertschaften von Polizei das Gelände um das Gildehaus in Lüchow ab.

Und so steht sie nun völlig unbehelligt auf dem Podium und rächt sich. Zum Diskutieren sei sie nach Gorleben gekommen, aber die Demonstranten seien Argumenten nicht zugänglich. „Statt dessen lassen sie ihren Emotionen und ihrer Aggressivität freien Lauf.“ Da applaudieren die Konservativen — Balsam auf die Wunden der Gescholtenen, und Schmiere für ihr Mundwerk: Die Gegner stecken den Kopf in den Sand, betreiben eine hundsgemeine Zermürbungs- und Hinhaltetaktik, nur weil es ihnen nicht paßt. Mit jeder Kleinigkeit laufen die vor Gericht, nur, um Projekte zu verhindern, zu stören, zu torpedieren. Wie beim ersten versuchten Castor-Transport, der gestoppt wurde, weil irgend etwas nicht der Norm entsprach. „Wo doch jeder weiß, daß die Vorschriften nie hundertprozentig eingehalten werden können. Das kennen Sie doch von daheim: Wenn sie einen Kuchen backen, geht auch nicht alles exakt nach Rezept. Da fällt schon mal ein Mehlstäubchen daneben. Na und? Der Kuchen schmeckt trotzdem köstlich.“

Ja, sie kommt in Fahrt, die Ministerin, so sehr, daß sich kleine Durchblutungsstörungen im Gesicht abzeichnen: herzförmige weiße Flecken auf rot-erregter Wange. Kein Wunder, denn aus der Haut könne sie fahren, wenn sie daran denkt, daß die geplanten Lagerstätten in Gorleben längst genehmigt sind. Das Zwischenlager ist fertiggestellt, die Pilotkonditionierungsanlage im Bau und die Erkundungsarbeiten für das Endlager sind fortgeschritten.

Nur die Querulanten wollen sich nicht fügen. Aber da haben die CDUler des Kreises Ideen: „Schicken sie die Polizei in Urlaub, wir machen die Vertretung“, ruft einer. „Her mit dem Bundesgrenzschutz“, fordert ein anderer. „Sie müssen endlich den Castor durchsetzen, damit der Tanz hier aufhört!“ lautet der allgemeine Wunsch. Immerhin fallen vereinzelt schon die Immobilienpreise. Nicht, weil die Leute Angst hätten vor atomarer Strahlung, nein, das ganze Theater, der Widerstand ist schuld daran. Schließlich will man seine Ruhe haben auf dem Land. Und die soll jetzt durchgesetzt werden. „Lassen sie auch Ministerpräsident Schröder wegtragen, und die Griefahn?“

Das steht nicht in ihrer Macht, antwortet Merkel. Obwohl sie sehr wohl der Meinung ist, daß die Niedersachsen-Sozis an der Castor- Misere schuld sind. Doch sie macht den Leuten keine falschen Hoffnungen, verspricht nichts, was sie nicht halten kann. Selbst den Bergmännern, die um ihre Arbeitsplätze bangen, redet sie nicht nach dem Mund. Das kommt an bei den bodenständigen Norddeutschen. Als die Ministerin nach der Veranstaltung müde auf ein Sofa sinkt, stehen die Parteifreunde zusammen, bewundern die Bodyguards und loben „die aus dem Osten“: „Das ist mal was ne dolle Deern“, sagt einer, „nicht so polemisch wie der Töpfer. An der ist eine Pädagogin verlorengegangen.“ Nur mit der Geduld hapert es noch: Als eine Fernsehleitung immer wieder zusammenbricht, wird es ihr zuviel. „O Wunder der Technik“, spricht sie, drückt dem Redakteur das Mikrophon in die Hand, schlüpft durchs Hinterzimmer der Gaststätte und entschwebt Minuten später gen Bonn. Michaela Schießl