Nicaragua und das Kriegsende in Europa: Ein Diktator und eine mißratene linke Partei
■ taz-Serie: Was am 8. Mai 1945 außerhalb Europas geschah
In Ticuantepe, einer nicaraguanischen Kleinstadt unweit der Hauptstadt Managua, lebt im hintersten Viertel, da wo die Straßen nicht gepflastert sind wie im Zentrum und am Park, ein alter Mann. Verwirrt, rot im Gesicht und ein bißchen verschwitzt sieht er aus, und vor allem: Er ist blond und spricht deutsch.
Der Mann verdient sein Geld als Schildermaler. Maler, sagt er, sei er auch in Deutschland gewesen, und in seinem Haus, das so dunkel und fensterlos ist wie die meisten nicaraguanischen Häuser, hängen tatsächlich ein paar scheußliche Landschaftsbilder an der Wand. Wie es denn in Deutschland sei, will er wissen, wartet aber keine Antwort ab. Schrecklich sei das alles, die Kameraden in der russischen Gefangenschaft, wer wisse, ob sie zurückkommen werden, man höre ja so einiges. Und all die Flüchtlinge aus den Ostgebieten, wo jetzt der Iwan sei... In dieser Hütte bleibt es Sommer '45.
Viele Deutsche waren es nicht, die nach dem Krieg nach Nicaragua kamen. Die deutsche Migration nach Mittelamerika datierte auf Ende des 19. Jahrhunderts, und es kamen eher wenige, die aber mit Geld und Ambitionen. Als im „Jahrzehnt der Cafetaleros“ 1880 bis 1890 die letzten indianischen UreinwohnerInnen der Pazifikküste vertrieben und ermordet wurden, um auf ihrem Land Kaffee anzubauen, waren Deutsche mit dabei. Einige der größten und besten Kaffeeplantagen trugen fürderhin deutsche Namen.
So kam es dem nicaraguanischen Diktator Anastasio Somoza Garcia, der seit 1937 das Land regierte, gerade recht, als er am 9. Dezember 1941 an der Seite der USA in den Krieg eintreten konnte. Soldaten brauchte er nicht nach Europa zu schicken, selbst als Militärbasis war Nicaragua für die US-Truppen uninteressant, und große Rohstoffvorkommen hatte Nicaragua auch nicht.
Es war auch nicht der Krieg, der Somoza interessierte: Der bot
ihm vielmehr die Möglichkeit, eine antideutsche Gesetzgebung in die Wege zu leiten, nach der er deutschen Besitz willkürlich enteignen – und seinem eigenen Clanbesitz einverleiben konnte. Der Kriegseintritt verhalf dem ersten Präsidenten Nicaraguas, der nicht aus einer Familie der traditionellen Oligarchie kam, zu üppigem Landbesitz.
Aber die Anti-Hitler-Allianz machte auch anderes möglich: die Gründung einer Kommunistischen Partei in Nicaragua etwa. Doch wo eine antisomozistische Kraft die Nachfolge des 1934 ermordeten Bauerngenerals Sandino hätte antreten müssen, entstand 1943, eng angelehnt an die Weisungen aus Moskau, der „Antifaschistische Arbeiterblock“. Der formte sich 1944 zur Sozialistischen Partei Nicaraguas (PSN), wurde offizielle Bruderpartei der KPdSU – und feierte im Gründungsdokument das Bündnis mit den USA und dem Diktator Somoza im Kampf gegen den Nazi-Faschismus.
Bloß gab es in Nicaragua, bis auf die kleine Gruppe der 1934 gegründeten „Camisas Azules“ (Blauhemden), keine Nazi-Faschisten. Nicht einmal die deutschen Einwanderer taten sich besonders nationalsozialistisch hervor, wie etwa in Guatemala. Dort, so betont ein reichsdeutsches Erdkundebuch von 1942, hatte sich „das Deutschtum auch im dritten Geschlecht reinerhalten“, „unsere Landsleute“ bekannten sich zum „Neuen Deutschland“, etwa durch die Gründung eines „vorbildlichen Winterhilfswerkes“. In Argentinien und Paraguay hatten Auslandsdeutsche schon Jahre vor der Machtübernahme Hitlers eigene Nazi-Parteien gegründet. In Nicaragua dagegen existierte nichts dergleichen, wogegen die dortigen Arbeitermassen sich hätten wehren müssen.
So hinterließ der Zweite Weltkrieg in Nicaragua 1945 einen um Millionen reicheren Diktator Somoza – und eine mißratene linke Partei. Bernd Pickert
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