Newsticker : Messestress, Gitarren, umgedrehte Kreuze – und nirgendwo Sojamilch
„Ich wäre lieber auf drei FDP-Parteitagen als auf dem Evangelischen Kirchentag.“
Ein taz-Genosse am Bahnsteig.
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Beim Eröffnungsgottesdienst am Brandenburger Tor: Straßenbarrieren, schwerbewaffnete Polizisten, überall Sanitäter, Taschenkontrollen und Sicherheitspersonal der Deutschen Bahn. Ein Polizist in voller Montur lässt sich dazu hinreißen, eine kleine Spinne aus dem Einsatzfahrzeug zu bergen und auf dem Platz der Republik auszusetzen: „Na, du kleine Maus. Dich rette ich mal.“
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Ein kleines Stück weiter, beim Eröffnungsdienst vor dem Reichstag: Klangschalen – und dann fünf Minuten Ruhe. Das war der Plan, und fast wäre er aufgegangen. Wären da nicht die vielen Besucher gewesen. Der Chor klingt blechern durch die Boxen, aber als die Gemeinde mit einstimmt, wird es doch lebendig. Bis der Lärm vom Brandenburger Tor lauter wird und Unmut aufkommt: Ist da drüben etwa mehr los?
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Irritation am frühen Donnerstagmorgen in der Berliner S-Bahn. „Sehr mutig von Ihnen, mit dem vollen Kaffeebecher in der vollen Bahn.“ Die Frau lächelt. Der Mann neben ihr berechnet die mögliche Flugbahn des Kaffees bei plötzlicher Anfahrt der Bahn. Auch er: lächelt. Fremde Menschen, die einen in der Bahn ansprechen – und lächeln – kann in Berlin nur eines bedeuten: Es ist Kirchentag.
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Am Espresso-Stand in Halle 5. Der Verkäufer zeichnet ein Herz aus Schaum auf den Kaffee. „Hier, bitte. Einmal mit viel Liebe.“
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Am Tommy-Weisbecker-Haus, einem selbstverwaltetes Wohnkollektiv im Berliner Ortsteil Kreuzberg, hängt ein schwarzes Plakat. Oben ein umgedrehtes Kreuz, darunter „Kirchen zu Kneipen“. Nicht überall sind die Christen willkommen in der Hauptstadt.
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Die Verkäuferin am Currywurststand ist noch nicht recht in Stimmung. „Wat, Curry mit Cola is keen Aktionsangebot.“ – „Doch, 5,60 Euro. Steht hier.“ – „Nee.“
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Am Stand der ERF Medien gibt es kostenlos Postkarten. „Achtung, hier kommt noch eine ganz schöne“, sagt der junge Helfer und füllt ein leeres Fach mit ein paar Karten, auf denen „danke!“ steht. Schön in Kleinbuchstaben und Hipsterschrift. Auch nach dieser Karte greifen sofort wieder zehn Hände.
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In der Messehalle. Es ist stickig, miefiger Currywurstduft mischt sich mit Plastikgeruch. Leute wuseln zwischen den Ständen hindurch. Im Hintergrund: Einstimmiges Singen bei Rasselklängen. Welch Harmonie im Messestress.
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In der Berliner S-Bahn ist man ja so einiges an Musik gewohnt. Wenn aber andere Fahrgäste mitsingen, dann ist Kirchentag. Ein älterer Herr sitzt umständlich mit der Konzertgitarre vertikal in die Höhe gestreckt und spielt deutsche Kirchenschlager. Hier und da wird mitgeschunkelt. Zu „Dies ist der Tag, den der Herr gemacht“ verlässt die Masse die S-Bahn.
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Auch auf dem Kirchentag bleibt man von Start-ups nicht verschont. Churchdesk ist eine Projektmanagementsoftware wie Slack, Trello und Co, nur auf die Kirchengemeinde zugeschnitten. Hoffen wir, auch mit einer säkularen PM-Software nicht in der Hölle zu landen.
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„Haben Sie auch Sojamilch?“ Die Antwort: bedröppelter Gesichtsausdruck. Von Sojadrink auf dem Kirchentag keine Spur.
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