Neuwahl in Kiel vorgeschlagen: Im Sturmgebrus
Das Ende der Großen Koalition in Schleswig-Holstein steht bevor: Nach Querelen regt Ministerpräsident Carstensen (CDU) einen vorzeitigen Urnengang an. Die SPD mag nicht recht zustimmen.
Jubiläen ließen sich auch feierlicher begehen. Heute vor vier Jahren, am 27. April 2005, wurde im Landtag von Schleswig-Holstein das erste CDU-SPD-Kabinett in der Geschichte des nördlichsten Bundeslandes vereidigt - und jetzt soll vorzeitig Schluss sein. Er und seine CDU seien zu Neuwahlen bereit, erklärt Ministerpräsident Peter Harry Carstensen. Wenn die SPD das wolle - die Union werde sich nicht verweigern. Möglicher Termin sei der Tag der Bundestagswahl am 27. September, das wäre sieben Monate vor dem regulären Ende der Legislaturperiode.
Durch den überraschenden Vorstoß steht die Große Koalition an der Kieler Förde nach vielen Querelen und Kämpfen vor der wohl ultimativen Zerreißprobe. Carstensens Intimfeind Ralf Stegner, SPD-Parteichef, hält das jedoch für "Theaterdonner": Die SPD stehe bis zum Schluss "zum Wählerauftrag", parteitaktische Mätzchen würden dem Land nicht helfen. Er selbst war vom Regierungschef nach heftigen Auseinandersetzungen im Januar 2008 aus dem Kabinett gedrängt worden und betreibt seitdem als Fraktionschef und Spitzenkandidat Opposition in der Koalition.
In der CDU selbst war jüngst wegen der Krise der HSH Nordbank, dem Rücktritt von Wirtschaftsminister Werner Marnette sowie dem schlechten Krisenmanagement von Carstensen und Finanzminister Rainer Wiegard eine heftige Führungsdebatte losgebrochen. Diese wollte Carstensen, der auch CDU-Landesvorsitzender ist, auf einer Krisensitzung des Vorstandes beenden. Im noblen Hotel "Kieler Kaufmann" - eine ehemalige Bankiersvilla mit weitem Blick über die Förde und, laut Eigenwerbung, "inspirierendem aristokratischen Charme", trafen sich am Freitagabend 30 Spitzenleute der schleswig-holsteinischen Union. Dass im Nebenzimmer eine Trauergesellschaft versammelt war, wollte niemand als schlechtes Omen verstanden wissen.
"Wir sind bereit. Der Ball liegt im Spielfeld der SPD", verkündete Carstensen nach der Sitzung auf einer kurzfristig anberaumten Pressekonferenz den durchaus überraschten Journalisten. Zwar betreibe er Neuwahlen nicht aktiv, fürchte sie aber auch nicht. SPD-Chef Stegner sei es, der sich "von verantwortungsvoller Regierungspolitik verabschiedet" habe. "Ich bin nicht derjenige, der aus der Verantwortung flieht", fügte Carstensen am Samstag auf NDR Info hinzu. Angesichts der Wirtschaftskrise, des Nordbank-Debakels und des Konjunkturprogramms gebe es für das Kabinett reichlich zu tun. Schwarz-Rot sei in einer schwierigen Situation.
Stegner spielte den Ball umgehend zurück: Die CDU habe eine Krise, nicht jedoch die SPD oder gar "die Regierung in Gänze". Über Neuwahlen müsse man nur sprechen, wenn der Ministerpräsident seinen Rücktritt erkläre.
Die Opposition hingegen schöpft bei alldem Hoffnung: "Wenn diese Landesregierung am Ende ist, dann muss sie das Handtuch werfen", forderte die Vorsitzende des Südschleswigschen Wählerverbandes (SSW) im Landtag, Anke Spoorendonk. Von einem "Eingeständnis, dass die schwarz-rote Regierung gescheitert ist", sprach die grüne Parteichefin Marlies Fritzen. Und ihr Co-Chef Robert Habeck stellte klar, das Land brauche "einen echten Neuanfang. Für eine Verlängerung des alten Elends stehen wir Grüne nicht zur Verfügung." Eine klare Absage an erste Planspiele seitens schwarzer und roter Parteistrategen.
Um tatsächlich zu Neuwahlen zu kommen, gibt es zwei Wege. So kann der Landtag mit Zweidrittelmehrheit aufgelöst werden: Dazu müssten CDU und SPD sich allerdings verständigen. Dass Stegner aber Carstensens Aufforderung folgt, ist schwer vorstellbar. Die Alternative wäre, dass Carstensen die Vertrauensfrage stellt und - nach dem Vorbild von Bundeskanzler Gerhard Schröder im Sommer 2005 - absichtlich verliert. Dann aber könnten SPD, Grünen und SSW - rein rechnerisch im Besitz der "Simonis-Mehrheit" von einer Stimme - übergangsweise Stegner küren. Und der könnte als amtierender Ministerpräsident in die Neuwahl gehen.
Dazu aber wollen die Grünen der SPD nun nicht die Hand reichen. Also muss eine andere Lösung her - welche auch immer.
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