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Neutraler Mythos?

■ Amtsgericht begründet Freispruch: „Auschwitz-Mythos“ sei mehrdeutig

Das Hamburger Amtsgericht hat seinen umstrittenen Freispruch zweier Neonazis, die den Massenmord an Juden auf einem „Nationalen Info-Telefon“ als „Auschwitz-Mythos“ bezeichnet hatten, gestern schriftlich begründet. Das Gericht habe nicht „mit der für eine Verurteilung erforderlichen Sicherheit“ feststellen können, daß der Tonband-Text „die Massenmorde an Juden durch systematische Vernichtung in Gaskammern von Auschwitz und anderswo leugnet“, heißt es in der 14seitigen Begründung.

Die beiden Angeklagten, führende Funktionäre der rechtsradikalen Deutschen Volksunion (DVU), hatten auf ihrem „Nationalen Info-Telefon Hamburg“ im März 1994 den Kinofilm „Schindlers Liste“ über die Judenvernichtung geschmäht, weil er „den Auschwitz-Mythos am Leben“ erhalte. Der Richter dagegen meinte, der Begriff „Mythos Auschwitz“ könne nicht mit dem Begriff „Auschwitz-Lüge“ gleichgesetzt werden. Mit Verweis auf Lexika-Einträge und Zeitungsartikel kam er zu dem Schluß, „daß der Begriff 'Auschwitz-Mythos' in seinem objektiven Bedeutungsgehalt indifferent geworden ist und damit für sich gesehen neutral, jedenfalls nicht im Sinne von 'Auschwitz-Lüge' besetzt ist.“

Zudem habe einer der Angeklagten „vor dem erkennenden Gericht klar und eindeutig gesagt hat, er sehe die Verbrechen an den Juden unter anderem im Konzentrationslager Auschwitz als historische Tatsache an und bezweifle diese nicht.“ Obwohl die Angeklagten alsrechtsradikale bekant seien, habe das Gericht keine Möglichkeit gesehen, diese „Einlassung zu widerlegen.“

Das Urteil hatte nach der Verkündung vor drei Wochen bundesweit scharfe Kritik und Empörung ausgelöst. Der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, Ignatz Bubis wertete den Richterspruch als „verheerend“, weil er den Neonazis Auftrieb gebe. Die Hamburger Staatsanwaltschaft hat bereits Berufung gegen das Urteil eingelegt. dpa

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