■ Neulich...: ...in der Umkleidekabine
Ich hätte es wissen müssen: Ein Klavier in einem Klamottenladen. Ich aber ging hinein, blätterte nach wenigen Takten fast rhythmisch zwischen den Pullis und Hosen auf der Stange, hängte mir das ein oder andere Teil über den Arm, vielleicht doch mal Orange wagen? Da steht ein langer Schlacks neben mir, fragt durch das perlende Klimpern von ganz oben runter: „Darf ich Ihnen die schon mal abnehmen?“ und grabscht nach den Bügeln über meinem Arm. „Nur eben mal in die Kabine hängen“, sagt er mir ins entgeisterte Gesicht.
Vorbei das Flanieren zwischen den Ständern, verstellt auch der Weg zur Kabine: „Möchten Sie anprobieren“, fragt die erste Verkäuferin, „Hier ist die Kabine mit Ihren Sachen“, sagt die zweite, während die dritte schon den Vorhang der Kabine hebt und ihn nach meinem Eintritt erst rechts, dann links zupft. „Danke“ sage ich, als sie links zieht, „danke“, als sie rechts zieht. Aber der Vorhang paßt nicht, er ist zu schmal. Trotz Piano kein Hocker in der Kabine, nur ein schmales Brett unterm Spiegel, ein Rückspiegel fehlt obendrein.
„Probieren Sie schon?“ Er wieder. „Paßt denn was?“ Ja, ja, wahrscheinlich. Hoffentlich bleibt er draußen. „Darf ich Ihnen ein Glas Sekt bringen?“ Bloß nicht. „Nein, sehr aufmerksam, ich bin Autofahrerin.“ Er läßt nicht locker: „Vielleicht eine Tasse Kaffee?“ Wenn's ihn glücklich macht - „Ja, gut, bringen Sie“. Blöde Hose, kneift, blöder Pulli, lappiger Saum, und dann dieses Kackgelb. Tasse wird reingereicht - von einer Frauenhand, wohin damit ...
Dann doch lieber in die Jeansläden von früher, zu den ewig ratschenden, desinteressierten Verkäuferinnen. Wenigstens belästigten die einen nicht mit Gesprächen durch den Vorhang. Erträglicher als die unentrinnbare Zuvorkommenheitheit im Klavier-Klamotten-Laden war selbst die erste Begegnung mit einem Damenwäschegeschäft: brutal, aber kurz. Damals, als ich mit Muttern den ersten BH kaufte. „Na paßt es“, rief da die resolute Verkäuferin durch den Vorhang, riß ihn im selben Moment zur Seite, stand bereits mitten in der Kabine, schon lag ihre fleischige Hand auf meiner Brust, schon rief sie quer durchs ganze Geschäft „Ach, da machen wir ein Abnäherle dran!“
„Na paßt es?“ Er schon wieder. Aber noch mindestens zwei Meter vom Vorhang entfernt. Soll ich die Wahrheit sagen: Der Pulli ist schlecht verarbeitet, die Hose schlecht geschnitten? Oder daß ich dafür einfach nicht die Figur habe? Geht ihn das was an? Ich sage: „Doch doch, ganz hübsch eigentlich - aber ich glaube, das Beige steht mir nicht so gut - so gelbstichig“. Das war die falsche Antwort.
Er eilt, mit ihm die drei Verkäuferinnen, schleppt aus dem ganzen Laden seine Schätze an: „Vielleicht mal sowas probieren?“ Sowas ist ein Pullunder mit aufgenähten Weihnachtsmännern. „Danke, wie aufmerksam, aber ich muß mir das nochmal durch den Kopf gehen lassen, Sie haben doch bis 14 Uhr geöffnet?“ Er bleibt zurück, den Pullunder auf den Unterarmen ausgebreitet. Groß und ratlos. Und der Klavierspieler macht grad Pause.
Christine Holch
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