■ Neuheiten auf der „größten Pferdemesse der Welt“: Sicher kommen im Stutenphantom
Essen (taz) – Nicht nur Mensch fühlt sich hin und wieder unwohl, verspürt ein „Reißen im Rücken“ oder leidet unter Depressionen. Auch Pferd plagt sich mit derlei Unannehmlichkeiten herum, und ihm kann wie Mensch auf natürliche Weise geholfen werden.
Auf der Equitana, der größten Pferdemesse der Welt in Essen, demonstrieren dies seit dem vergangenen Sonnabend die Amerikaner Linda Tellington Jones und Monty Roberts sowie der Chinese Prof. Dr. Wang Qinlan. Während Linda Tellington Jones noch bis zum 14.März knetender Weise Pferdeverspannungen löst, versucht sich Roberts in der Pferdesprache und beruhigt so die Gemüter verschreckter Rösser.
Was sich der studierte Verhaltens- und Sexualtherapeut normalerweise um die 20.000 Mark kosten läßt, führt er auf der Messe täglich dem staunenden Publikum in Halle 6 des Ausstellungskomplexes vor. Für Qinlan sind Nadeln das A und O. Ob seine Pferde- Akupunktur allerdings seppelhuttragende Züchter überzeugen kann, ist fraglich. „Verrückter Wunderheiler“ denken diese eher und traben schweren Schrittes in Halle 7, die Züchteroase. Hier treffen sich die Verbände bundesdeutscher Pferdezucht, um über Hengstleistungsprüfungen, Stutbucheintragungen und Fohlenauktionen zu fachsimpeln.
Doch so ganz in deutscher Hand ist die Halle nicht. Das belgische Gestüt des Multis Leon Melchior mit Namen Zangersheide hatte den schwarzrotgoldenen Schmelztiegel im Vorfeld in Wallung gebracht. Wenn schon Zucht in einer Halle, dann bitte schön deutsche, schrien da die erhitzten Gemüter. Belgier sollten dort nichts zu suchen haben. Daß der Zangersheide-Stand sich trotz allem über regen Zulauf freuen kann, liegt nicht an den Pferden, sondern an einer Weltneuheit aus Holz und Leder: Das Stutenphantom mit künstlicher, innenliegender Vagina, die sich nach der Ejakulation absenkt! Ideal für Hengste, die nicht können, wenn sie sollen, verspricht der Hersteller.
Absolut jugendfrei sind allerdings die „Hop-Top“-Shows, die vom 10. bis zum 13. März im sogenannten „Großen Ring“ in Halle 6 stattfinden. Der Pressezettel verspricht Pferdeimpressionen und „Magic“ vom feinsten. So lautet das Motto jedes bunt zusammengewürfelten Show-Abends „Die Sterne des Pegasus“. Zu sehen sind unter anderem juchzende Kinder und johlende Cowboys. Und das für 74 Mark pro Person. Doch sich über die Preise aufzuregen, lohnt nicht. Die „Hop-Top“-Shows sind bereits ausverkauft. Der Zutritt zu den 90.000 Quadratmetern Ausstellungsfläche, gespickt mit rund 800 Ausstellern aus 23 Ländern und 500 Pferden, ist dagegen vergleichsweise günstig. 25 Mark müssen Erwachsene und 18 Mark Kinder berappen, um sich zu den miefigen Hallen Zutritt zu verschaffen.
Dort können sie dann Nützliches wie Hufkratzer, Reithosen, Zaumzeug, Lederfett oder Firlefanz wie „I-love-horses“-Broschen und Sammeltassen im Pferdekopf- Design für viel Geld erstehen. Oder sie lassen sich in Halle 12 am Berlin-2000-Stand von Olympia- Lobhudeleien berieseln.
Oder aber die Pferdefans bewundern die apathisch in den Boxen dösenden Pferde und Ponys, die nach dem Messetrubel sicher die eine oder andere Therapiestunde bei Monty Roberts gebrauchen könnten. Doch Initiator Wolf Kröber, der die Messe 1972 erstmals zelebrieren ließ, ist auch diesmal zufrieden und beschreibt sein Hochgefühl folgendermaßen in der Messezeitung:
„Für mich ist jede Equitana immer wieder ein Stück eigenes Leben, eine neue herausfordernde Pioniertat.“ Bärbel Schulz
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