piwik no script img

Neues Museum für surrealistische KunsCharlottenburg immer schräger

Vis-à-vis der Sammlung Berggruen präsentiert sich in Berlin die Sammlung Scharf-Gerstenberg der Öffentlichkeit - mindestens zehn Jahre lang.

Besucherin in dem neuen Museum Bild: AP

Den gläsernen Eingangsbereich des neuen Surrealismus-Museums in Charlottenburg dekorieren Krähen aus Gummi und bunte Damenpumps. Die pseudooriginellen Souvenirs im "Shop" lassen Schlimmes erahnen. Schließlich eignet sich kaum etwas so gut zur Verkitschung wie die zerlaufende Uhr von Dalí oder Magrittes riesenhafte Friedenstaube. Doch je weiter man ins Innere der Sammlung Scharf-Gerstenberg eindringt, desto unbegründeter ist diese Befürchtung. Passiert man den gläsernen Anbau und betritt den klassizistischen Bau des Preußen August Stüler, taucht man wirklich in "Surreale Welten" ein, wie es das Museumsmotto verspricht.

Unter dem strengen und strahlend weißen Gewölbe des Marstalls hängen Klassiker des Surrealismus wie Max Ernst, Yves Tanguy und René Magritte - der Kontrast zwischen der Architektur und den überbordenden Werken des 20. Jahrhunderts könnte größer nicht sein. Krönung des Absurden ist das altägyptische "Kalabscha-Tor", das dem lang gezogenen Raum vorsteht. Die steinerne Antiquität ist ein Relikt des Ägyptischen Museums, das zwischen 1967 und 2005 hier untergebracht war. Mittlerweile ist das Gros der Ägypter auf die Museumsinsel gezogen und machte so Platz für die 300 Gemälde, Grafiken und Skulpturen große private Surrealistensammlung der Familie Scharf-Gerstenberg, die damit der Öffentlichkeit zugänglich ist.

Die Sammlung des Berliner Versicherungsdirektors Otto Gerstenberg und seiner Nachfahren steht für zehn Jahre der Neuen Nationalgalerie als Dauerleihgabe zur Verfügung. Im Gegenzug hat der Bund den östlichen Stühlerbau gegenüber vom Schloss Charlottenburg für 10 Millionen Euro umbauen lassen. Von einem "neuen Glanzpunkt" für Berlin und den Museumsstandort Charlottenburg sprach bei der Eröffnung Hermann Parzinger, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Mit der Sammlung Berggruen vis-à-vis im westlichen Stülerbau habe man ein Zentrum für Sammlungen mit Ausrichtung auf die klassische Moderne geschaffen.

Peter-Klaus Schuster, Generaldirektor der Staatlichen Museen zu Berlin, sprach sogar von einem neuen "quartier français" in der Stadt: Von der Kunst Frankreichs sei die Sammlung Friedrichs des Großen im Schloss Charlottenburg ebenso beeinflusst wie die beiden Sammlungen der klassischen Moderne. Den Scharf-Gerstenbergs attestierte Schuster eine Vorliebe für die "dunkle Seite der Moderne", während der Sammler Heinz Berggruen zeit seines Lebens eher zum Hellen gestrebt habe.

Düster wird es in der Rotunde, wo in kleinen Sälen rund ums Treppenhaus die Vorläufer des Surrealismus gezeigt werden: Wahnsinnsdurchtränkte Radierungen des Spaniers Francisco de Goya (1746-1828), gefolgt von Kerkerskizzen des italienischen Architekten Giovanni Battista Piranesi (1720-1778). Weiter oben das 20. Jahrhundert, unter anderem mit zahlreichen Grafiken und Gemälden von Paul Klee und den zerrissenen und verformten weiblichen Puppenkörper von Hans Bellmer.

Bekanntes und Unbekanntes, Historisches und Überraschendes, Kunst von Geisteskranken wie arrivierte Malerikonen - die Sammlung Scharf-Gerstenberg fasst den Surrealismusbegriff weit. Berücksichtigt wird nicht nur die klassische Phase zwischen André Bretons "Erstem Surrealistischen Manifest" 1924 und der letzten bedeutenden Surrealisten-Ausstellung 1947 in Paris. Das von Bréton geforderte zweckfreie Spiel des Denkens finden die Sammler auch im Symbolismus des französischen Malers Odilon Redon (1840-1914) oder in einer Videoarbeit der Kölnerin Rosemarie Trockel (geboren 1952). Wie weit der Bogen gespannt wird, zeigen die Kurzfilme im "Sahure-Saal", die von Trockel bis zu Buñuels und Dalís "Andalusischem Hund" reichen. Für den echt surrealistischen Bruch mit der Wirklichkeit sorgen wieder die Ägypter: Die Säulen des antiken Sahure-Tempels rahmen die Leinwand schön unpassend ein.

Sammlung Scharf-Gerstenberg, Schlossstraße 70. Di.-So. 10 bis 18 Uhr

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!