Neues Magazin "Love": Edel, aber auch ein bisschen kaputt
In "Love" wettert Stylistin Katie Grand gegen körperliche Perfektion und wehrt sich gegen Size-Zero-Models. Eine Anzeigeseite einer goldenen Krokodilledertasche gibt's trotzdem.
Kürzlich erfuhr ich, dass in meinem jetzigen Wohnzimmer einen Sommer lang ein Stück Londoner Subkultur gehaust hat. Es waren die frühen Neunzigerjahre und ich war noch ein träumender Teenager tief im Ruhrgebiet, als im Südlondoner Brixton, hier auf meinem löchrigen Dielenboden der Journalist Jefferson Hack, Fotograf Rankin und die Stylistin Katie Grand saßen und an den ersten Entwürfen ihres Magazins Dazed & Confused bastelten. Es waren Zeiten, in denen zumindest ich noch glaubte, dass das Lesen von Stil-Bibeln wie Dazed und i-D etwas mit Abgrenzung zu tun hatte. Tatsächlich ging es nicht um viel mehr als Mode, doch man plünderte diese Magazine auf der Suche nach brauchbarem, kulturellem Kapital. Dass sich die Helden dieser vermeintlichen Londoner Subszenen sehr früh mit der Industrie zusammentaten, um eben nicht mehr auf zersplitterten Dielenböden Layouts zu bauen, wollte man damals nicht wahrhaben. Wer sich in den 1990er-Jahren in Deutschland sein Fanzine plötzlich von Puma bezahlen ließ oder mit seiner Indieband vor Becks-Bier-Bannern auftrat, galt definitiv als Verräter. In London dagegen nannte man das schon sehr früh und vorausschauend Popkultur. Sie verhält sich in England zur Subkultur wie viel zu coole Eltern, die ständig mit dem Nachwuchs skaten oder raven gehen. Man kommt zu gut miteinander aus.
Inzwischen wird natürlich auch in Berlin jeder verspottet, der verkündet, taz und FAZ abonniert zu haben und engagierte Kunst in schicken Bankfoyers merkwürdig findet. Nun, fast genau auf den Tag, an dem der Jaguar unter den Magazinverlagen, Condé-Nast, der deutschen Vanity Fair den Hahn zudrehte, spendiert er Katie Grand, jener Stylistin von meinem Dielenboden, ein neues, kiloschweres Luxus-Modeheft. Mit über 300 Seiten und einer Typo wie aus einer sorglosen Eighties-Zigarettenwerbung will Love zweimal im Jahr einen Glamour vermitteln, der edel wirkt, aber auch ein bisschen kaputt von den vielen Drogen und Partys. Angeblich hatte Grand, längst selbst eine Stilikone und erfolgreiche Blattmacherin, genug von retouchierten Botox-Visagen und wünschte sich ein Hochglanzheft mit "realen" Leuten wie Courtney Love, Vivien Westwood, Kate Moss, Amy Winehouse bis Iggy Pop. Es sind alte Freunde aus Katie Grands Jahren bei Dazed, The Face und waren schon Dauergäste in ihrem letzten Magazin Pop. In Love wettert Grand gegen die Vorstellungen von gesellschaftlich und körperlicher Perfektion, gegenüber die Anzeigeseite einer goldenen Krokodilledertasche von Ralph Lauren, für deren Preis sich "reale" Leute einen Gebrauchtwagen kaufen.
So viel zum "Realitycheck". Dennoch wird Love vom Modezirkus gerade gefeiert wie ein Manifest, in dem Glamour und Perfektion scheinbar genüsslich gegen den Strich gebürstet werden. Passend zur Finanzkrise gibt es endlich ein bisschen Antihaltung, die in jedes It-Bag passt wie ein schickes Accessoire. Präsentiert in der ersten Nummer von Love werden Ikonen der Gegenwart, und Katie Grands erhoffter Faustschlag in die Magengrube gediegener Condé-Nast-Abonnentinnen ist die nackte, sehr kurvige, homosexuelle The-Gossip-Sängerin Beth Ditto als Covergirl. Auf einer alten Dazed and Confused-Ausgabe hätte das damals wahrscheinlich niemanden geschockt. Die magere Modeszene dagegen ringt bei so viel sichtbaren "Fettdepots" verzückt nach Luft. Ditto wird zum Platzhalter für die wenigen, exzentrischen Außenseiter, die ihre eigene Subkultur vielleicht verlassen haben, aber immer noch mit ausreichend Krawallromantik und unkonventionellem Unterhaltungswert kokettieren können, um im Modezirkus von den wichtigen, den entscheidenden Drahtziehern verehrt zu werden. Katie Grand und ihr neues Magazin funktionieren im Grunde nicht anders.
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