Neues Hausblog beim „Spiegel“: Sich selbst auf die Finger schauen
Die Redaktion des Nachrichtenmagazins „Der Spiegel“ bloggt jetzt über die eigene Arbeit. Aber wie viel Kritik wird sie zulassen?
![](https://taz.de/picture/192228/14/25092012_spiegelblog_screenshot.jpg)
Einem Sprecher der Berliner Polizei hat ein Artikel aus dem aktuellen Spiegel nicht gefallen. Es geht um einen Brief der Berliner Polizeiführung an die Bundesanwaltschaft. Das Schreiben spielt eine Rolle in der Affäre um einen einstigen V-Mann, der zu den Beschuldigten in der NSU-Causa gehört.
Der Spiegel, meckerte der Polizeisprecher, habe „unvollständig zitiert“. Mit derlei Allerweltskritik erweckt man bei dem ein oder anderen den Eindruck, die Journalisten hätten unsauber gearbeitet.
Unvollständig zitiert? Stimmt, entgegnen die Kritisierten genüsslich im neuen Spiegelblog. Unter der Headline „Der V-Mann, der Senator und die Offenheit“ stellen sie den „nur für den Dienstgebrauch“ gedachten sechsseitigen Brief als PDF zum Download bereit. Vermutlich wollte der Sprecher das nicht erreichen, denn durch die vollständige Veröffentlichung steht die Berliner Polizei nun in noch schlechterem Licht da.
Gute Chance zum Start
Mit dem am Wochenende gestarteten Blog will das Magazin „am Gespräch über unsere Arbeit teilnehmen – etwa indem wir über den Ablauf, aber auch die Folgen und Auswirkungen von Spiegel-Recherchen berichten“. Dies schreibt Spiegel-Chefredakteur Georg Mascolo ebendort, und er dürfte sich darüber gefreut haben, dass der Berliner Polizeisprecher seinen Leuten gleich zum Start die Chance gegeben hat, die Ankündigung umzusetzen.
Mindestens so wichtig wie der Austausch mit Kritikern aus den Institutionen ist der mit den Lesern. „Ein Medium wie der Spiegel kann seine Autorität heute nicht mehr dadurch beweisen, dass es aus der Position des Wissenden Behauptungen aufstellt“, vielmehr müsse sich das Blatt dem Diskurs stellen, sagt Stefan Niggemeier, einer der redaktionellen Betreuer des Angebots.
Verlagsunabhängige Blogs, die sich mit dem Spiegel beschäftigen, gibt es schon länger, etwa das auf wissenschaftsjournalistische Beiträge spezialisierte spiegelblog.net. Für Debatten über handwerkliche Fehler, die der Spiegel macht, mag der neue hauseigene Blog eine geeignete Plattform sein. Interessant ist aber nicht, dass der Spiegel hin und wieder Fehler macht. Das Problem ist eher seine politische Grundhaltung.
Seit der Wiedervereinigung ist der Spiegel nach rechts gerückt. Die Quasiheiligschreibung des alten Feindes Helmut Kohl kommt da nicht überraschend. Der Spiegel brüstet sich auch immer wieder mit kindlich anmutendem Stolz darauf, dass man auf Dokumente aus dem Kanzleramt oder von Ministerien habe zurückgreifen dürfen. Von einem Sturmgeschütz der Demokratie erwartet man etwas mehr Distanz. Auch der Umgang mit dem BND ist auffallend zahm. Die entscheidende Frage ist, ob der neue Spiegelblog auch für Debatten zu solchen Themen taugt.
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