piwik no script img

■ Neues Asylrecht: Zur Nutzbarmachung der AusländerIllegal ist billiger

Die Diskussion um die Asylrechtsregelung wurde in politischen, rechtlichen und moralischen Begriffen geführt. Nun äußerte sich in dieser Diskussion in der Tat ein erheblicher Mangel der bundesrepublikanischen Gesellschaft an politischer Reife. Aber dieser liegt nicht per se, nicht nur darin, daß das Recht auf politisches Asyl, genauer: der Zugang zu diesem Recht eingeschränkt wurde, so fatal und bedauerlich das ist. Ebenso unerfreulich ist, daß die Asylfrage geopfert wurde auf dem Altar ganz anderer Pobleme. Der Kern dieser Probleme scheint mir auch nicht, wie vielfach angenommen wird, ein früher latenter, inzwischen offen artikulierter Rassismus zu sein. Dieser wurde, mit fatalen Konsequenzen, nur in Kauf genommen und geschickt ausgenutzt, um das eigentliche unehrenwerte Motiv durch ein anderes zu ersetzen und zu verdecken.

Die vielfältigen und von allen Seiten ausgesprochenen Ehrenrettungsversuche, die insbesondere die Leistungen der „Gastarbeiter“ für die bundesrepublikanische Ökonomie hervorheben, machen – unintendiert – deutlich, was wir auch so wissen: Solange die „Ausländer“ ihren Aufenthalt in der Bundesrepublik dazu benutzen, unsere Straßen, Büros und Wohnungen zu reinigen, dreckige Arbeit im Straßenbau oder in der Kohleförderung zu verrichten, so lange sind sie ein zwar nicht mit Begeisterung empfangener, aber doch in Kauf genommmener Bestandteil der sozialen Wirklichkeit. Das, was die „Asylanten“ so unerträglich machte, war ihre Unproduktivität, vulgo ihr „Schmarotzertum“; und dies erschien in einer Situation um so unerträglicher, in der immer mehr Bevölkerungsgruppen in der Bundesrepublik, notabene beträchtliche Teile der Bevölkerung der ehemaligen DDR, selbst auf die staatliche Alimentation einer unproduktiven Existenz angewiesen waren. Der Frankfurter Soziologie Heinz Steinert hat die Angriffe auf Asylbewerber unter anderem mit dem Neid von Kindern erklärt, die auf ihren Vater angewiesen sind und feststellen müssen, daß dieser sich anderen zuwendet; jetzt klagen sie von „Vater Staat“ das nötige Maß an finanzieller, aber auch emotionaler Zuwendung ein.

Und nicht nur wegen der populistischen Motive vieler Politiker sind sie dabei erfolgreich: In Zeiten, die einer verwöhnten Wohlfahrtsgesellschaft hart vorkommen, sind die paar Milliarden Mark, die der Unterhalt der Asylbewerber während ihres kurzen Aufenthaltes in den bundesrepublikanischen Lagern jährlich gekostet hat, auch für die Verwalter der öffentlichen Haushalte ein nicht unbeträchtlicher Brocken, und Richter bewegen sich in höheren Gehaltsstufen als Hilfspolizisten an der Grenze.

Glaubt aber jemand im Ernst, daß infolge der „Lösung des Asylproblems“ keine Migranten mehr aus Osteuropa und anderswoher kommen? So naiv ist wohl niemand; die hohe Zahl jetzt registrierter „illegaler Grenzübertritte“ wird demnächst zurückgehen, nicht, weil sich die Zuwanderer abschrecken lassen, sondern weil sie und die Organisationen, die ihnen ausbeuterisch ihre Dienste anbieten, sich besser auf die neue Situation eingestellt haben werden. Es geht also nicht ernsthaft darum, sich vor Migranten abzuschotten (was nicht möglich ist), sondern das Problem ökonomisch und administrativ eleganter zu verarbeiten. Das wird durch zwei entscheidende Unterschiede zur alten Lösung ermöglicht.

1) Solange die Migranten Anspruch auf ein Asylverfahren hatten, mußte auch ihre Existenz alimentiert werden; ihnen standen also Unterkunft und Sozialhilfe zu. Das entfällt jetzt. Aber der Aspekt des ökonomischen Kalküls – bewußt oder unbewußt – dürfte noch mehr umfassen. Durch die bürokratische Registrierung, insbesondere aber durch die Unterbringung häufig abseits der Großstädte, war eine ökonomische Nutzbarmachung der Asylbewerber nicht möglich. Nun hat es den Anschein, daß diese gar nicht erwünscht gewesen sei, standen ihrer Beschäftigung doch kaum überwindbare gesetzliche bzw. bürokratische Hürden im Weg. Das stimmt jedoch nur, wenn mensch Beschäftigung mit legaler Beschäftigung gleichsetzt. Es gibt aber auch in der Bundesrepublik zahlreiche Sektoren, in denen diese Normen entweder nicht gelten oder nicht beachtet werden – und diese werden in Zukunft zunehmen.

Ein Vergleich politischer Skandale in den USA und in der Bundesrepublik, zeigt uns, was auf uns zukommmt. In der Bundesrepublik mußte ein Minister zurücktreten, weil er sich seine Putzfrau größtenteils vom Arbeitsamt finanzieren ließ. In den USA, einer Gesellschaft mit einer viel längeren Tradition illegaler Arbeitsmigranten, wäre eine Bezuschussung von Arbeitskräften durch öffentliche Stellen undenkbar, weil unnötig. Dort konnte eine höchst erfolgreiche Juristin nicht Justizministerin werden, weil sie eine Haushaltshilfe ohne „Green Card“, also ohne Arbeitsberechtigung beschäftigt hatte. Darum wird es bei uns in Zukunft auch gehen, wenn die illegalen Migranten in unseren Großstädten sich als Arbeitskräfte zu Preisen anbieten, die es unseren Mittelschichten erlauben werden, wie in den guten alten Zeiten ihre Hausarbeit nicht mehr selbst verrichten zu müssen.

2) Der wesentliche Unterschied zwischen alter und neuer Regelung hinsichtlich der Regulierung der Migrantenströme ist der Unterschied zwischen gerichtlichem Verfahren und administrativer Praxis. Gerichtliches Verfahren bedeutet – und sei es nur rein äußerlich, der Form halber – Bürokratie (im Sinne Max Webers): Anlage von Akten, Registrierung, Förmlichkeit. Der Zustrom der Asylbewerber zur Bundesrepublik konnte von außen nicht gelenkt und im Innern nur unter Beachtung der gesetzlichen Vorschriften bewältigt werden. Die neue Lage, die das Heft des Handelns von den Gerichten zur Exekutive und zur Administration verlagert, erlaubt, wie die Rechtssoziologie vielfach beobachtet hat, wesentlich mehr Flexibilität. Ist das Thema illegaler Arbeitsmigranten aus den Medien, kann die Arbeit der Greiftrupps an den Grenzen (die ja auch Geld kostet) eingeschränkt werden. Kommt es wieder zu einer medialen Inszenierung eines „Ausländerproblems“, können die Politiker viel besser als bisher auf der gleichen Ebene antworten: Statt eines Verweises auf das Gesetz wirksam ins Bild gesetzte Jagd auf „Illegale“, statt des Jammerns über die hohen Kosten gerichtlicher Verfahren ein Stimmen bringender Showdown an den Grenzen.

Warum hat die politische Klasse den zugewanderten Arbeitskräften („Gastarbeitern“) keine politischen Rechte zusprechen wollen? Gewiß nicht der einzige, aber ein auch nicht vernachlässigbarer Grund liegt darin, daß sich derlei kurz über lang auch immer in ökonomische Rechte, sprich mehr Macht im Verteilungskampf umsetzt. Es läßt sich allerdings prognostizieren, daß mit der Zunahme des bereits existierenden Sockels illegaler Arbeitskräfte den legalen Migranten diese Rechte zugesprochen werden können, weil ihre ökonomische Gleichstellung dann schon weitgehend vollzogen sein wird. Der Kampf um die Zulassung der hier schon lange ansässigen legalen Arbeitsmigranten zur deutschen Staatsbürgerschaft und/ oder andere politische Rechte wird schon bald ergänzt, vielleicht sogar abgelöst werden müssen durch einen Kampf für einen menschenwürdigen Umgang mit den illegalen Migranten. Wolfgang Ludwig-Mayerhofer

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen