Neues Album von Matthew Herbert: Wenn die Cola klopft
Das neue Album von Matthew Herbert widmet sich Supermarkt-Geräuschen. DJ Empty zapft die Industrialisierung als Soundquellen an.
Ein befreundeter Kunsthistoriker erklärt hin und wieder resigniert, Supermärkte hätten die Welt mehr verändert als Kunstwerke – und wahrscheinlich hat er recht. Höchste Zeit also für einen Gegenangriff der Kunst. Und wer könnte dafür besser geeignet sein als der britische Found-Sound-Spezialist Matthew Herbert?
Jener Matthew Herbert spaziert unter seinem Dancefloor-Pseudonym Wishmountain also in den Supermarkt, um sich das Rohmaterial für sein Album zu besorgen. Für „Tesco“, das zweite Album unter dem Namen Wishmountain, hat Herbert pro Lied jeweils acht Sounds der zehn meistgekauften Produkte der britischen Supermarktkette zu einem Track kombiniert.
Das erste Wishmountain-Album und der kleine Minimal-Hit „Radio“ sind 14 Jahre her. Das heißt aber nicht, dass der umtriebige Herbert in dieser Zeit untätig war. In den letzten drei Jahren hat er die Albumtrilogie „One“ veröffentlicht, dazu erschien ein Rework von Gustav Mahlers Zehnter in der „Recomposed“-Reihe der Deutschen Grammophon.
Im Rahmen der One-Trilogie hatte Herbert jeweils die Geräusche eines Menschen, eines Clubs und eines Schweins zu Musik verarbeitet – und nun eben die Produkte eines Supermarkts. So kommen nun Milch („Dairy Milk“), Kaffee („Nescafe“), Cola („Coke“) und Energydrinks („Lucozade“) zu einem musikalischen Denkmal in Form kurzer Tanztracks. Hat man sich erst einmal die Geräuschquellen des Albums vergegenwärtigt, hört man nicht mehr auf, überall nach Spuren des verwendeten Materials zu suchen.
Sound der Verpackung
Beim Konsumkritiker Herbert schlagen sich Coladose und Kaffeebüchsen natürlich hauptsächlich in unangenehmem Klopfen und Klappern nieder. Selten gibt es einfühlsame Geräusche wie das Zischen beim Öffnen einer Flasche oder das Knistern einer geöffneten Verpackung zu hören. Der Grundmechanismus des Albums ist eher das Spiel mit den Möglichkeiten, Blech und Plastik als Schlagwerk einzusetzen – was in seinem Minimalismus tatsächlich eine Nähe zu früheren Wishmountain-Tracks schafft.
Andererseits führt das dazu, dass man sich beim Hören der Tracks eher an den industriellen Produktionsprozess der Waren erinnert fühlt als an ihren konkreten Gebrauch. Insofern ähnelt „Tesco“ dem letzten Herbert-Album „One Pig“, bei dem es unter anderem um das Stück Fleisch auf dem Teller ging, der größte Teil sich aber dem Lebensweg des Schweins von der Aufzucht bis zum Schlachthof widmete.
„Tesco“ nimmt also nicht nur in seinem Klangspektrum Anleihen bei Industrial, sondern stellt auch noch einen inhaltlichen Bezug her. Das macht das in nur vier Tagen entstandene Werk zu mehr als nur einer Fingerübung. Zeitgleich mit „Tesco“ ist auf Herberts eigenem Label Accidental das Debüt seines Schützlings DJ Empty erschienen.
Hinter dem Pseudonym verbirgt sich der japanische Architekturstudent Hiroki Mamoru, der es irgendwie geschafft hat, Herbert ein Mixtape zuzustecken. So folgt auf seine „Meaningless“-EP nun das Album „Meaningless“.
Empty numeriert seine Tracks strikt durch, von „Meaningless One“ bis „Meaningless Ten“. Wie sein Lehrer ist Empty Liebhaber des 4/4-Takts, den er mit perkussiven Spielereien umgarnt. Seinen Sound assoziiert man jedoch weniger mit einer Fabrikhalle als mit einer gehetzten Dampflokomotive: Es zischt und spritzt und tutet. Das Grundgerüst bildet der regelmäßige gerade Schlag. Wo Herbert sich einen strengen Minimalismus auferlegt, lässt Empty etwas mehr zu.
Direkt aus dem Martial-Arts-Movie
Statt der acht Grundgeräusche sind seine Tracks an manchen Stellen fast orchestral komponiert. Im Auftakt „Meaningless Five“ ist der Pfiff der Lokomotive mit Schreien kombiniert, die direkt aus einem Martial-Arts-Movie zu kommen scheinen.
Blecherne Trommeln, Klopfen und Hämmern sind zu einem klanglichen Panorama montiert, das gut zu einem Stummfilm-Roadmovie passen würde. Melancholie und Melodie ergänzen hier den Sound des Industriellen. Das wird nicht die Welt verändern – aber so etwas gibt es auch nicht im Supermarkt zu kaufen.
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