Neues Album von João Donato: Zwischen Rio und Acre
João Donato war Miterfinder des Bossa Nova. Nun erscheint ein neues Album des inzwischen 86-Jährigen auf dem „Jazz Is Dead“-Label.
Wie eine Kralle ragt Urca in die Guanabarabucht hinein: Der Stadtteil ist eins der schönsten Viertel Rio de Janeiros, eine Halbinsel voller tropischer Vegetation und ruhiger Wohnstraßen, von der aus die Seilbahn nach oben zum Pão de Açúcar führt – dem „Zuckerhut“, einem fast 400 Meter hohen abgerundeten Felsen, der als Wahrzeichen der Stadt über Urca thront.
João Donato muss nur wenige Meter vor die Tür treten, um den Blick auf die ausladende Bucht zu genießen. Dass er eine lebende Legende ist, kann man sich kaum vorstellen, wenn er im Freizeitlook Rios – Hemd, Shorts und Badelatschen – vor einem steht und einen aus seinem runden Gesicht anstrahlt. Doch wer kann schon auf eine heute 70 Jahre lange bewegte Karriere als Musiker zurückblicken? Auf Auftritte mit Chet Baker, Sérgio Mendes und Tito Puente?
Donato lächelt und führt den Gast bei einem Besuch vor einigen Jahren durchs Haus. Überall finden sich hier Spuren seines musikalischen Schaffens und Souvenirs ausgedehnter Reisen, darunter Keramikfrösche – in Anspielung auf seinen Song „Frog“.
An den Wänden hängen Plattencover, Zeitungsartikel und Preise, im Fenster flattert die gelb-grüne, mit einem roten Stern verzierte Fahne des Amazonasbundesstaats Acre – hier wurde Donato 1934 geboren. Die erste Musik, die er je wahrgenommen habe, sei Vogelgesang im Regenwald gewesen, sagt er. Daraus habe er mit acht Jahren auf einem Akkordeon ein erstes Lied komponiert.
Das neue Album: João Donato, Adrian Younge & Ali Shaheed Muhammad: „João Donato“ (Jazz is Dead, 2021).
Donato zum Weiterhören: „Muito à vontade“ (1962), „A Bad Donato“ (1970), „Sambolero“ (2005), „Donato Elétrico“ (2016)
Dann zieht seine Familie nach Rio de Janeiro, wo er sich bereits mit 15 Jahren als Pianist verdingt. Einige Jahre später lernt er den Gitarristen João Gilberto und den Komponisten Tom Jobim kennen. Gemeinsam kreieren die drei Bohemiens den Bossa Nova – einen Stil mit gehauchtem Gesang, komplizierten Harmonien und einem beständigen Wechsel zwischen Dur und Moll. Dies bricht mit der antiquierten Sprache des Samba und holt die brasilianische Musik raus aus den Kellerklubs an die frische Luft.
Der „Losers“-Nachtclub
Als der Bossa seinen Siegeszug quer über die Welt antritt, war Donato allerdings schon längst zu neuen Ufern aufgebrochen: In den USA, wo er bis Anfang der 1970er-Jahre überwiegend lebt, nähert er sich der afrokubanischen Musik an, muss anfänglich aber schwierige Momente überstehen. In Los Angeles etwa kann er kaum seine Miete zahlen und spielt für Trinkgeld in einem Nachtclub namens „Losers“.
Nun ist Donato, inzwischen 86 Jahre alt, nach Los Angeles zurückgekehrt. Der Komponist und (Film-)Musiker Adrian Younge hat hier mit dem A-Tribe-Called-Quest-DJ Ali Shaheed Muhammad im Vorjahr das Label Jazz is Dead gegründet. Entstanden aus einer gleichnamigen Partyreihe, auf der Legenden mit jungen Jazzheads zusammentreffen, haben sie schon Platten mit dem Neo-Soul-Vibrafonisten Roy Ayers und Bossa-Sänger Marcos Valle aufgenommen. Ihre siebte Veröffentlichung ist nun ein Album mit und für João Donato.
Younge und Muhammad haben dafür fast alle Songs geschrieben und zusammen mit Donato und dem Drummer Greg Paul arrangiert und eingespielt. Tatsächlich gelingt es ihnen auch ganz gut einzufangen, was Donatos musikalisches Werk ausmacht: Einfach erscheinende Melodien mit lieblichen Akkordfolgen, die komplex arrangiert werden (wie gleich im Opener „Não Negue Seu Coracão“) und ihre Details manchmal erst beim wiederholten Hören offenbaren („Liasons“). Mal scheinbar gemächlich („Desejo de Amor“), mal treibender („Forever More“). Gelegentlich, wie in „Aquarius (Bring Her Home To Me)“, plätschert es aber auch etwas zu erwartbar vor sich hin.
Vier Alben seines Schaffens sind essenziell: Auf der ersten Platte „Muito à vontade“ von 1962, einem Klassiker der Música Popular Brasileira (MPB), klingen seine Bossa-Melodien am Klavier noch so unbeschwert wie eine leichte Brise am Strand, während er auf „A Bad Donato“ (1970) kurz vor dem Ende seiner US-Phase das Piano gegen ein Fender Rhodes eintauscht und nicht mehr aufzuhalten ist.
Als „psychedelic funky experience“ wurde das Album damals nicht zu Unrecht beworben. 35 Jahre später gewinnt seine Platte „Sambolero“, wie zum Karrierebeginn in schlichter Besetzung als Trio, mit luftigen Samba- und Bossa-Klängen einen Latin Grammy in der Kategorie Jazz – als ob er zu seinen Wurzeln zurückkehren wollte. Auf „Donato Elétrico“ (2016) öffnet er sich schließlich wieder zeitgenössischen Trends, wofür er unter anderem mit den Afrobeat-Revivalisten von Bixiga 70 kooperiert.
Vielleicht sollte man bei Donato von Kreisbahnen sprechen, auf denen er sich bewegt. „Ich bin weder allein aus Rio de Janeiro noch aus Acre“, sagt er. „Ich bin aus allen Flüssen und kehre immer dahin zurück, woher ich aufgebrochen bin.“ Wie er seine Musik selbst beschreiben würde? „Darüber denke ich noch nicht einmal nach. Und ich weiß nicht, ob es dafür überhaupt einen Namen gibt.“
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