Neues Album von Chris Cohen: Der Charme des Dysfunktionalen
Der US-Songwriter verwandelt seine Familiengeschichte zu Musik. Es geht vor allem um den Vater, ehemals Manager des Majorlabels Columbia.
Es ist ein fades Klischee, dass Leiden interessante Kunst hervorbringt. Doch nach dem neuen, namenlosen Album von Chris Cohen zu urteilen, dem dritten Werk seit dem großartigen Solodebüt „Overgrown Path“ (2012), könnte zumindest etwas dran sein an der pathosträchtigen Vorstellung, dass ein Stachel im Fleisch dem kreativen Output guttut. Auch wenn das Werk beim wiederholten Hören besser gefällt: Anders als Cohens frühere Arbeiten mit ihren angeschrägten Ideen und stolpernden Rhythmen – bleibt die Musik etwas zu vorhersehbar.
Ob das Päckchen, das Cohen von seinem Vater mitbekam, für die produktive Reibung verantwortlich war, die in seinen Songs steckt, weiß man natürlich nicht. Inwiefern diese Reibung sich dann in jene waghalsigen musikalischen Hakenschläge übersetzte, über die man sich in den psychedelischen Folksongs der ersten beiden Alben freuen durfte. Oder auch in das unterschwellig nervöse Flirren in den Stücken, das es so leicht machte, bei den Songs dabei zu bleiben?
Eine Verbindung liegt nahe, wenn Cohen selbst, wie in einem Interview mit Vanity Fair, sagt: „Meine Art, Musik zu machen, hat viel mit meinem Vater zu tun. Die Dinge, die mir gefielen, waren die Sachen, von denen ich vermute, dass er sie hassen würde.“
Angenehm versponnen
Dass Chris Cohen überhaupt eine Musikerkarriere eingeschlagen hat, hat seinem Vernehmen nach auch mit seinem Vater zu tun. Bevor der 1975 geborene US-Gitarrist und -Songwriter eigene Songs komponierte, tourte er mit Künstlern wie dem Folkrocker Cass McCombs, Lo-fi-Weirdo Ariel Pink und der Indierockerin Weyes Blood. Mitte der Nullerjahre war er zudem Mitglied der Progrock-affinen und angenehm versponnenen Band Deerhoof.
Cohens Vater Kip war einst Teil des Popbetriebs. In den siebziger und achtziger Jahren arbeitete er als A&R-Manager beim Majorlabel Columbia und nahm etwa Billy Joel unter Vertrag. 2008 machte Kip Cohen seine Drogenprobleme öffentlich: „Ich habe einen Trümmerhaufen hinterlassen, um den ich mich kümmern muss“, erzählte er damals dem US-Publicradio NPR. Unlängst ließen sich Cohens Eltern nach 53 Jahren Ehe scheiden; zudem hatte Kip Cohen sein Coming-out. Sein Sohn Chris Cohen sagt heute, er habe keinen Kontakt mehr zum Vater.
All das floss in Cohens neue Songs mit ein. Im munter schwingenden „Green Eyes“, dem eingängigsten Song des Albums, reminisziert er, verglichen mit seinen sonst recht enigmatischen Texten, wenig verklausuliert. „He was the first man I ever met/He filled in every space/ Told me not to mumble/ There was anger in his face“. Während es im angejazzten „Edit Out“ scheinbar um die Frage geht, inwiefern den eigenen Erinnerungen zu trauen ist: „We were loved from afar/ Everyone kept in the dark/ I rub my eyes and look around/ You could hardly tell at all/ Estimated what they’d edit out/ Maybe nothing there at all.“
Verhaltene Experimente
Musikalisch schlagen Cohens Songs nicht mehr so wilde Haken wie auf ersten beiden Alben, bei denen einen die Stücke mitnahmen, gerade weil sie auf halber Strecke die Richtung änderte. Diesmal steht Cohens Stimme mehr im Vordergrund. Auf eine nicht geleckte Art klingen die Songs nach Easy Listening. Der Schlussstrich, den Cohen offenbar ziehen will, klingt in Musik übersetzt etwas bieder. Verquere Ideen fehlen. Experimentwillen ist nach wie vor spürbar, nur etwas diskreter und verhaltener eingeflochten.
Chris Cohen: "Chris Cohen" (Captured Tracks/Cargo)
Live. 11. 5. "Kantine am Berghain" Berlin, 13.5. "Aalhaus" Hamburg, 14.5. "Olympia" Köln
Vielleicht kann man sich einem so schweren Thema nur zuwenden, indem man aus den Dramen etwas Luft herauslässt. Trotzdem mutet es fast ironisch an, dass Chris Cohen ausgerechnet mit dem Album, auf dem er sich ganz ostentativ aus seiner Komfortzone herausbewegt, Musik macht, die selbstzufriedener klingt als je zuvor.
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