Neues Album von Beirut: Auf dem Weg nach Hause
Die Weltenbummler-Band Beirut veröffentlicht am Freitag ihr neues Album "The Rip Tide". Zach Condon sucht das Abenteuer in der Nähe zu sich selbst.
"The Rip Tide" heißt das neue Beirut-Album. Und vielleicht war es tatsächlich eine rückströmende Brandung, die die US-Folk-Band Beirut nach all ihren Reisen wieder in den Heimathafen zurückgespült hat. Denn "The Rip Tide" richtet den Blick nicht mehr in die Ferne, sondern schleicht mit steter Melancholie über die Straßen von East Harlem und Santa Fe oder durch den Nebel auf der Bishop's Lane.
Dass diese und andere Sehnsuchtsorte plötzlich über vertraute Americana-Pfade zu finden sind, überrascht bei einer Band, die bisher eher die Volksmusik des Balkans im Blicke hatte als Blues oder Country. Da wirkt es fast wie eine wahr gewordene Prophezeiung, wenn Multiinstrumentalist und Mastermind Zach Condon mit ungewohnter Leichtigkeit singt: "And oh, the sound will bring me home again."
Als Beirut 2006 mit ihrem Debütalbum "The Gulak Orkestar" ihre erste Duftnote im Pop hinterließen, war das Etikett schnell zur Hand. Beirut war die Band eines 20-jährigen Wunderknaben, der mit 16 als talentierter Schüler die High School in Sante Fe schmiss, um sich auf eigene Faust durch Osteuropa zu trinken, zu schlafen und vor allem zu hören. Seine Songs schienen aus dem Leben eines Taugenichts zu sein, wie er nicht nur in Eichendorffs Buche steht. Und sie posaunten heraus, wo ihre Wurzeln lagen - jüdische Klezmermusik, Balkanpop à la Bregovic, russische Polka.
"The Rip Tide" (Pompeii Records/Indigo).
Das "Gulak Orkestar", welches immer zwischen himmelhoch jauchzend und zu Tode betrübt oszillierte, gab den musikalischen Rahmen aller weiteren Beirut-Veröffentlichungen vor: In der Mitte zwischen Trompete, Klarinette, Horn, Saxofon, Posaune, Mandoline, Ukulele, Kontrabass, Akkordeon, Glockenspiel, Keyboard, Klavier und Condons Baritongesang entspringt das Lied.
Beirut blieb die Band eines Weltenbummlers: Auf "The Flying Club Cup" von 2007 spürte Condon dem Spannungsfeld zwischen französischer Leichtigkeit und Melancholie nach, auf der Doppel-EP "March of the Zapotec and Realpeople Holland" ließ er sich von mexikanischer Mariachi-Musik inspirieren und es mit einer 19-köpfigen Funeral-Band krachen.
Der Vagabund kehrt in sich
Auf dem ersten Studio-Album seit vier Jahren schweift Zack Condon nun nicht mehr in die Ferne: Die Tide zieht ihn geradewegs an die Orte zurück, vor denen er einst geflohen ist, nach Hause und ins Innere. Es ist nicht mehr die Außenperspektive eines unsteten, dauerreisenden Vagabunden auf eine neu entdeckte, faszinierende Umwelt, sondern die Introspektive. Das verwundert nur auf den ersten Blick, bis man sich an das Jahr 2008 erinnert, in dem Condon eine sehr erfolgreiche Welttournee wegen Burn-out abbrach. Danach wurde es still um Beirut. Man muss um diesen Hintergrund wissen, um sein neues Album einordnen zu können.
"The Rip Tide" ist das Werk eines weit Gereisten, dessen Identität sich aus dem zusammensetzt, was er hinter sich gelassen hat, und dem, was er auf seinen Reisen entdeckt und dazugewonnen hat. Den Beginn des Albums bilden vertraute Beirut-Klänge: In "A Candle's Fire" packen sich Trompete, Marschtrommel, Ukulele und Horn auf ein sentimentales Akkordeon, um die Stimmung des Songs von anfänglicher Melancholie zu einsetzender Fröhlichkeit und wieder zurück zur schönen Traurigkeit mäandern zu lassen. Mit "Goshen" liefern Beirut eine taumelnde Ballade ab, wie man sie in dieser rücksichtslosen Schwermut von Condon noch nicht gehört hat - und das will schon was heißen.
Scheinbar ein Gespräch zwischen Mentor und Schülerin beschreibend, entwickelt das Lied einen doppelten Boden, welcher das Auseinanderdriften einer Beziehung beschreibt: "You're the face in stone / Through the land I own / You never found a home / You're not the girl I used to know". Im poppigen "Santa Fe" bricht sich die Nostalgie im Hinblick auf Condons Ursprünge Bahn. Eingeklammert ist der Song von einem hektisch prasselnden Synthietropfenregen, welcher aber von einem Bläser-Arrangement und einem tiefstapelnden Piano zurückgepfiffen wird.
Nie näher am Pop
In die Lücken dieses Geflechts besingt Condon die Geschichte seines Abschieds: "This day was once / All grace of lost / Can't wait at all / Temptation won". Die Versuchung ist der Ursprung des Aufbruchs - in Schönheit, aber auch in Ungewissheit, in die scheinbare Leichtigkeit, aber immer auch in die temporäre Einsamkeit.
Hiervon berichtet auch "Vagabond". Während Beirut Piano, Trompeten, Bass, Akkordeon und Trommeln zum hemmungslosen Herumknutschen bringen, singt Condon mit seinem trunkenen Bariton: "Now left the vagabonds / A trail of stones / Forward to find my way home / Now as the air grows cold / The truth unfolds / And I am lost / And not found". Während die bisherigen Beirut-Alben so etwas wie musikalische Reiseführer waren, ist "The Rip Tide" ein Werk über die Suche nach einem Zuhause und die Schwierigkeit, fündig zu werden.
Musikalisch sind Beirut zwar noch immer bei ihren Wurzeln - also im osteuropäischen Raum - anzusiedeln, waren aber gleichzeitig nie näher am klassischen, eingängigen Pop-Song. Der Aha-Effekt ihrer beiden ersten Alben ist an der klanglichen Vertrautheit, mit der "The Rip Tide" alte Hörer abholt und sicher auch neue dazugewinnen wird, verpufft.
Unwahrscheinlich, dass die Erforschung von Innenwelten das Ende der großen Suche des Troubadours ist. Schließlich braucht es zur Selbsterkenntnis - zumindest wenn man dem französischen Philosophen Albert Camus glauben mag - immer auch die Ferne: "Das Reisen führt uns zu uns zurück."
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